Die chinesische Regierung scheint wieder Feuer und Flamme fürs Wirtschaftswachstum zu sein. Im Nachgang des chaotischen Ausstiegs aus ihrer Null-Covid-Politik, der (mindestens) Zehntausende Menschenleben forderte, beteuert die Führung des Landes eifrig ihre unverbrüchliche Hingabe für einen robusten Wirtschaftsaufschwung. Doch Lippenbekenntnisse allein werden China nicht weiterbringen.
Auf der Zentralen Arbeitskonferenz zur Wirtschaft im Dezember – dem jährlichen Treffen, bei dem die oberste Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) die wirtschaftspolitische Agenda für das kommende Jahr festlegt – wurde Wachstum als oberste wirtschaftliche Priorität der Regierung für 2023 gesetzt. In den darauffolgenden Wochen erlebte die Öffentlichkeit ein seit Jahren nicht mehr da gewesenes Spektakel, bei dem sich Provinzgouverneure überschlugen, um das Bekenntnis der KPCh zum Wachstum zu bekräftigen und verunsicherte private Investoren und Unternehmer zu beruhigen.
Die politische Motivation für diesen Kurswechsel liegt auf der Hand: Die KPCh hofft, die Unterstützung der Öffentlichkeit wiederzuerlangen, nachdem die Frustration der Bevölkerung über drakonische Null-Covid-Massnahmen der Unzufriedenheit über den verpfuschten Ausstieg aus dieser Politik gewichen ist. Doch solange die Regierung ihre wachstumsfördernde Rhetorik nicht in die Tat umsetzt, wird sie kaum von Bedeutung sein.
Schäden der Null-Covid-Politik
Bis zu einem gewissen Grad hat sie das bereits getan. Von der Lockerung der Kreditaufnahmebeschränkungen für «hochkarätige» Bauträger bis hin zur Förderung der Nachfrage nach Wohnraum stehen Massnahmen, die dem angeschlagenen Immobiliensektor neues Leben einhauchen sollen, ganz oben auf der Agenda der Regierung.
«Solange die Regierung ihre wachstumsfördernde Rhetorik nicht in die Tat umsetzt, wird sie kaum von Bedeutung sein.»
Doch diese Bemühungen reichen bei weitem nicht aus. So wichtig der Immobiliensektor für das chinesische BIP auch ist, ein (moderater) Aufschwung im Immobiliensektor allein kann keine umfassende wirtschaftliche Erholung bewirken, geschweige denn eine Rückkehr zu schnellem Wachstum. Auch die anderen kurzfristigen Konjunkturmassnahmen der Regierung – wie die expansive Geld- und Fiskalpolitik, einschliesslich Infrastrukturinvestitionen – werden wahrscheinlich nur einen vorübergehenden Impuls geben.
Die Null-Covid-Beschränkungen haben in Chinas Wirtschaft tiefe Spuren hinterlassen. Vor der Pandemie konnte China 44 Millionen Kleinst- und Kleinunternehmen aufweisen, die rund 98% aller registrierten Unternehmen und etwa 80% der Arbeitsplätze ausserhalb des staatlichen Sektors stellten. Mehr als 90 Millionen Menschen waren selbstständig tätig.
Unter dem Druck der USA
Doch Null-Covid hat all das verändert. Da die Lockdowns nicht mit direkter finanzieller Unterstützung für Kleinst- und Kleinunternehmen einhergingen, gingen viele von ihnen pleite, was das Wachstum erheblich dämpfte.
Der geopolitische Druck – nicht zuletzt der Technologiekrieg mit den Vereinigten Staaten – verstärkt die Hemmnisse für Chinas Wachstum zusätzlich. Die USA setzen sich mehr denn je dafür ein, Chinas Zugang zu Halbleitern zu beschränken, und üben diplomatischen Druck auf Den Haag aus, um das niederländische Unternehmen ASML daran zu hindern, eine breitere Palette seiner Chip-Produktionsmaschinen an China zu verkaufen. Zudem ist die Möglichkeit neuer amerikanischer Sanktionen gegen China nicht auszuschliessen, besonders jetzt, da die Republikanische Partei das Repräsentantenhaus kontrolliert.
Unterdessen hat Chinas implizite Unterstützung für Russlands Krieg gegen die Ukraine die Beziehungen zu seinem zweitgrössten Handelspartner, der EU, verschlechtert. Einige in Europa folgen nun dem Beispiel der USA und fordern eine wirtschaftliche «Abkopplung». Schon jetzt bemühen sich viele europäische Unternehmen um eine Diversifizierung der Lieferketten für ihre Produktion – unter anderem durch die Beschaffung alternativer Vorprodukte und die Verlagerung einiger Produktionsschritte –, um ihre Abhängigkeit von China zu verringern.
Vertrauensverlust in der Wirtschaft
Solange die geopolitischen Spannungen anhalten, wird das Geschäftsklima unsicher bleiben, was Investitionen verhindert und die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe verringert, da sich ausländische Unternehmen aus dem Markt zurückziehen. Die Verbesserung der Beziehungen zum Westen ist somit eine Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung.
Die chinesisch-amerikanischen Beziehungen dürften zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht mehr zu kitten sein. Dennoch könnte China die diplomatische Atmosphäre verbessern, indem es seine Unterstützung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie das Säbelrasseln gegenüber Taiwan einschränkt und so Befürchtungen der Investoren vor einer chinesischen Invasion oder einer Seeblockade der Insel zerstreut.
Gleichzeitig muss China ein glaubwürdiges Reformprogramm auf den Weg bringen. Unter der Führung von Präsident Xi Jinping hat sich die chinesische Regierung der orthodoxen kommunistischen Ideologie verschrieben und versucht, die Dominanz der Partei über Gesellschaft und Wirtschaft zu stärken. Dieser Ansatz, der sich in einer verschärften sozialen Kontrolle, der Einrichtung von KPCh-Zellen in Privatunternehmen und Provokationen gegen Chinas wichtigste Handelspartner äussert, hat das Vertrauen der Wirtschaft schwer beschädigt.
Bisher fehlt es an Plänen
Wenn es der KPCh ernst ist mit dem Wachstum, muss sie zu den wichtigsten politischen Reformen Deng Xiaopings zurückkehren, wie etwa Meritokratie, einem vorgeschriebenen Ruhestandsalter für die Staatsspitze und Begrenzung der Amtszeit. Die Stärkung der Unabhängigkeit des Rechtssystems ist besonders dringlich, um Privatunternehmern die Gewissheit zu geben, dass ihre persönliche Sicherheit und ihr Eigentum geschützt werden.
In Bezug auf die Wirtschaftspolitik muss China ineffiziente Staatsbetriebe privatisieren und ein unternehmensfreundlicheres regulatorisches Umfeld schaffen. Auch Massnahmen zur Unterstützung kleiner Unternehmen sind für einen dauerhaften Wirtschaftsaufschwung unerlässlich.
Obwohl die chinesische Regierung viel über Wachstum redet, hat sie keine solchen Pläne vorgestellt. Und nichts in der offiziellen Rhetorik der Regierung deutet darauf hin, dass ein grundlegender Richtungswechsel – wie Dengs entscheidender Bruch mit dem maoistischen «Klassenkampf» im Jahr 1979 – in Erwägung gezogen wird. Glauben Sie also nicht alles, was in den Medien steht: Chinas Wachstumsmotor könnte noch eine Weile stottern.
Minxin Pei ist Professor of Government am Claremont McKenna College und Non-Resident Senior Fellow beim German Marshall Fund of the United States. Copyright: Project Syndicate.
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Meinung – Chinas allzu optimistischer Blick aufs Wachstum
Wenn es dem Regime in Peking wirklich ernst ist mit dem Beleben des Wirtschaftswachstums, muss es zu den wesentlichen Reformen Deng Xiaopings zurückkehren.