Kaffee mit Nora Markwalder«Das Schöne an der Forschung ist die Weiterentwicklung der Rechtspraxis»
Die St. Galler Strafrechtsprofessorin und Kriminologin schätzt den Austausch mit verschiedenen Interessengruppen. Ihr Menschenbild habe sich durch ihre Tätigkeit wenig verändert, eher weiter differenziert.

Im Nachgang der richtungsweisenden Entscheidung im Bankensektor treffe ich Strafrechtsprofessorin Nora Markwalder und will gleich zu Beginn unseres Gesprächs an der Universität St. Gallen wissen, ob sie sich über die Geschehnisse rund um die CS-Übernahme informiert. So unterrichtet sie zwar an einer Wirtschaftsuni, aber ist mit ihrer Spezialisierung im Strafrecht nicht zwingend eng vertraut mit Banken und Übernahmen. «Natürlich, auch wenn ich im Strafrecht spezialisiert bin, befasse ich mich sehr gerne mit solch allgemein relevanten Phänomenen», sagt sie.
Wie sie sich denn beschreiben würde? Sie überlegt lächelnd und antwortet: «Neugierig, freundlich und vielseitig.» Einen freundlichen Eindruck hat sie bei ihren Vorlesungen zum Strafrecht und auch beim ganzen Gespräch eindeutig vermittelt. «Mit der Neugier ist es so eine Sache. Ich entdecke sehr gerne Neues, erlange fortlaufend zusätzliches Wissen, das ich mit anderem versuche zu vernetzen, zu begründen und zu beantworten. Wahrscheinlich bin ich auch darum in der Forschung gelandet», führt Markwalder aus. «Zumal mich auch andere Themen faszinieren, so habe ich beispielsweise zum Credit-Suisse-Debakel jegliche Informationsquellen konsultiert und aufgenommen, was ich nur konnte.»
Dass Markwalder nach ihrer Ausbildung in der Kriminologie landen wird, weiss sie seit ihren Jugendjahren. Denn obwohl ihr Vater als Rechtsmediziner gearbeitet hat, sind es die wahren Geschichten über einen FBI-Profiler, der Gewaltverbrechen und deren Lösung beschreibt, die ihre Passion geweckt haben. «Mit 15 Jahren und nach einigen Büchern von John Douglas ist für mich bereits festgestanden, dass es mich in die Kriminologie verschlagen wird.» Heute will sie die gleiche Leidenschaft fürs eigene Fach gerne den Menschen mitgeben, die sich dafür interessieren. Zudem macht sie es sich zur Aufgabe, ihr Wissen auf eine unterhaltsame, moderne und nachhaltige Art und Weise zu übermitteln. Dabei kommt ihr zugute, dass sie als Strafverteidigerin mit Personen aller Gesellschaftsschichten zusammenarbeiten musste. «Gute Menschenkenntnisse und Empathie sind nicht nur als Strafverteidigerin wichtig.»
Nachdem die in St. Gallen aufgewachsene Markwalder einige Jahre als Strafverteidigerin gearbeitet hat, wollte sie sich ihrer wahren Berufung widmen – dem Schaffen von Wissen. «Auch wenn man abends selten abschalten kann und die Work-Life-Balance mal so, mal so ausfällt, bereitet mir das Publizieren von wissenschaftlichen Arbeiten enorme Freude.» Das Schöne an der Forschung sei die Weiterentwicklung der Rechtspraxis.
Die Begeisterung für ihr Fach ist in ihrem Gesicht sichtbar, als sie von ihrer jüngsten grösseren Studie erzählt. «Für die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz haben wir eine gesamtschweizerische Opferbefragung über verschiedene Delikte geführt.» Was ist das Ziel der Befragung? «Daraus können wir wichtige Zahlen und Daten zu Opfererfahrungen in der Bevölkerung lesen, die auch der Präventionsarbeit und der Opferhilfe dienen.» Ganz grundsätzlich freut sie sich immer, wenn ihre Arbeit einen Beitrag zur Sicherheit in der Schweiz leistet. Zudem schätzt sie den Austausch mit verschiedenen Interessengruppen und auch den Kontakt zu Studierenden sehr.
Obwohl Markwalder die Ostschweiz für ihr Studium der Rechtswissenschaften in Richtung Lausanne und später auch Übersee (Texas) verlassen hat, bleibt sie für ihr Hobby der Region treu. Nach dem Studienabschluss hat sie die Freizeitbeschäftigung ihrer Jugend wieder aufgenommen und geht regelmässig fischen. «Als Ausgleich zur Denkarbeit bin ich gerne im Neckertal unterwegs», so Markwalder. «Ich bin ein Mitglied des lokalen Fischervereins und begebe mich gerne mit brusthohen Fischerstiefeln ins Wasser.» Mit dem Fischen hatte sie mit ihrem Vater als Kind angefangen und fand nach dem Studium wieder Gefallen daran.
Ich nutze die lockere Stimmung und stelle ihr eine unangenehme Frage. Wie sie denn damit klargekommen sei, für Verbrecher einzustehen und ob sich ihr Menschenbild verändert habe. «Während meiner kurzen Tätigkeit als Strafverteidigerin hatte ich nur kleinere Fälle. Dabei hatte ich aber nie Gewissensbisse, zumal es zum Job gehört, bestmöglichen Rechtsbeistand für eine in Rechtssachen unbewandte Person zu leisten.» So sei sie ausschliesslich den Interessen des Mandanten verpflichtet und erledige schlicht ihren Job als Teil im Rechtssystem. «Mein Menschenbild hat sich aber nicht verändert, eher weiter differenziert.» Oftmals können Taten nach einem Gespräch nachvollziehbar erscheinen. «Auch wenn ich keine auch nur im Ansatz billige», fügt sie an. Die meisten Verhaltensweisen hätten Beweggründe dahinter. «Betrachtet man die jeweiligen Umstände und Personenkonstellationen genauer, versteht man die Tat und die Person meist besser», führt sie aus.
Zum Abschluss frage ich die seit 2008 in Zürich lebende, aktuell schwerpunktmässig im Wirtschaftsstrafrecht und in der Unternehmensstrafbarkeit forschende Professorin, ob sie als Frau in einem eher männerdominierten Gebiet jemals Gegenwind gespürt hat. «Überhaupt nicht», betont sie. «Bisher waren alle Beschuldigten froh, dass eine Verteidigung erschienen ist. Zudem ist in der Forschung zum Glück noch nie Zweifel am Fachlichen aufgekommen», sagt sie zufrieden lächelnd.
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