Seit dem tödlichen Brand in einem Wohnhaus in der chinesischen Region Xinjiang, für den viele die Coronalockdowns verantwortlich machen, gehen Menschen in China auf die Strasse und fordern ein Ende der strengen Pandemiepolitik. Es gab aber schon vor diesen Protesten Anzeichen dafür, dass die Regierung von Präsident Xi Jinping eine Abkehr von der teuren Null-Covid-Politik vorbereitet, auch wenn ihr genauer Zeitplan unklar bleibt. Dieser Prozess ist jedoch komplizierter, als es viele wahrhaben wollen.
Chinas Abschied von Null-Covid ist mit grossen Gesundheitsrisiken verbunden, die minimiert werden müssen, besonders angesichts der niedrigen Impfquote in den ältesten Bevölkerungsgruppen. Hinzu kommen noch die wenig beachteten praktischen Herausforderungen.
Wie China aus Hongkongs schmerzhafter Erfahrung gelernt hat, kann eine Infektionswelle in dicht bevölkerten Gebieten den Bedarf für medizinische Ressourcen schlagartig erhöhen und das Gesundheitswesen lähmen. Wenn es den Behörden nicht gelingt, diesen Bedarf schnell zu decken, könnten die Sterbezahlen, besonders bei älteren Menschen, durch die Decke gehen.
Zeitlich und regional abstufen
Weil derartige Schocks unbedingt verhindert werden müssen, haben die meisten Länder ihre Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie nur schrittweise aufgehoben. Als Land, in dem die Macht extrem zentralisiert ist, hat China jedoch den Vorteil, dass es diese Lockerungen nicht nur zeitlich, sondern auch geografisch abstufen kann.
«China könnte in erheblich gefährdeten Städten mit vielen Ressourcen wie Guangzhou, das vor kurzem einen starken Anstieg der Fallzahlen verzeichnen musste, ‹Sondergesundheitszonen› einrichten.»
Dabei kann das Land viel aus den wirtschaftlichen Reformen und der Öffnungspolitik der vergangenen vier Jahrzehnte lernen. Anstatt die gesamte Wirtschaft auf einen Schlag für die Aussenwelt zu öffnen, erklärte China vier Städte im Inland zu Sonderwirtschaftszonen. Kurz darauf öffnete die Regierung 14 weitere Küstenstädte. Erst danach setzte China das neu erprobte Modell schrittweise im ganzen Land um.
Aus praktischen Gesichtspunkten bot dieses langsame Vorgehen mehrere offensichtliche Vorteile. Die Zentralregierung war in der Lage, die mit den Marktreformen verbundenen Risiken einzugrenzen – und dadurch zu kontrollieren. Ausserdem konnte sie experimentieren, Erfahrungen sammeln und Daten erheben, die den Menschen Sicherheit vermittelten und als Faktengrundlage für die Ausweitung der Reformen dienten. Zudem konnte sie zur Unterstützung wichtiger Initiativen Fachleute aus dem ganzen Land mobilisieren.
Ressourcen bündeln
Beim Ausstieg aus Null-Covid kann China heute einen ähnlichen Weg gehen und in erheblich gefährdeten Städten mit vielen Ressourcen wie Guangzhou, das vor kurzem einen starken Anstieg der Fallzahlen verzeichnen musste, «Sondergesundheitszonen» einrichten. In diesen Zonen gäbe es weniger Pandemiebeschränkungen, dafür wäre die Reisefreiheit in andere Städte und Regionen eingeschränkt.
Die chinesische Regierung könnte Daten über die Auswirkungen entschärfter Massnahmen in den abgeschlossenen Zonen sammeln, bevor sie die Beschränkungen in der Breite lockert. Geriete das Gesundheitswesen in einer dieser Zonen in die Krise, könnte diese eingedämmt und der erhöhte Bedarf an kritischen medizinischen Produkten und Fachleuten viel leichter gedeckt werden, nicht zuletzt indem Ressourcen aus anderen Gebieten umgeleitet werden, in denen die Null-Covid-Politik weiterhin gilt.
China hat Erfahrung mit dieser Form der Ressourcenbündelung: Während des Lockdown in Schanghai zu Jahresbeginn wurden über 38’000 Ärzte und Pfleger in die Stadt geschickt, um die steigenden Fallzahlen zu bewältigen. Für den Ausstieg aus Null-Covid müsste eine solche Ressourcenbündelung natürlich viel grossflächiger organisiert und vorab sorgfältig geplant werden.
Mangel an Personal und Gütern absehbar
Intuitiv sollten die Ressourcen auf subnationaler Ebene gebündelt werden, sodass Lücken in einer Region durch Überschüsse in benachbarten Regionen gestopft werden können. Auf diese Weise müssten die Ressourcen bei Bedarf kürzere Strecken zurücklegen, was die Logistik schneller und billiger macht.
Dieser Ansatz hat jedoch klare Grenzen: Da benachbarte Regionen in der Regel wirtschaftlich eng miteinander verflochten sind, wäre es sinnvoll, die Pandemiebeschränkungen im nächsten Schritt zuerst in den Regionen in der Nähe der Sondergesundheitszonen zu lockern. Sobald das passiert, ist zu erwarten, dass die Coronafallzahlen – und der Bedarf an medizinischen Ressourcen – auch in diesen Regionen steigen. Wurden diese Ressourcen bereits in die Sonderzonen verlegt, ist ein Mangel an medizinischen Gütern und Fachkräften nur eine Frage der Zeit.
Deshalb sollte die regionale Ressourcenverwaltung durch ein zentrales System ergänzt werden. Auf diese Weise können Ressourcen auch zwischen weit voneinander entfernten Regionen, die sich vermutlich in unterschiedlichen Lockerungsphasen befinden, ausgetauscht werden.
Leistungsfähige Verwaltung
Für eine so umfassende Aufgabe wäre viel Vorarbeit und eine enge Abstimmung zwischen der Zentralregierung und den subnationalen Behörden auf allen Ebenen erforderlich. Lokale Behörden müssten «entbehrliche» medizinische Ressourcen identifizieren, die dem «Pool» zugeschlagen werden können, ohne dass die Versorgungsqualität vor Ort nennenswert leidet. Die Zentralregierung ihrerseits müsste standardisierte Abläufe festlegen, damit die Ressourcenpools der unterschiedlichen Regionen reibungslos zusammenarbeiten.
Gleichzeitig müsste sie einen oder mehrere zentrale Vertriebspunkte einrichten, in denen medizinische Ressourcen für den Transport in regionale Zentren bereitstehen. Ausserdem könnte sie ein Team aus spezialisierten Gesundheitskräften zusammenstellen, die bei Bedarf in die Sondergesundheitszonen entsandt werden können. Glücklicherweise ist Chinas stark zentralisiertes politisches System für derart umfassende und komplexe Aufgaben gut aufgestellt.
Trotz des zunehmenden Unmuts in der Bevölkerung wird Chinas Ausstieg aus Null-Covid nicht über Nacht passieren. Viel eher wird er stufenweise und kontrolliert ablaufen, genau wie zuvor die wirtschaftliche Öffnung Chinas. Allerdings muss die chinesische Führung dieses Mal schneller vorgehen als vor vier Jahrzehnten. Mit einer sorgfältig geplanten Umsetzungsstrategie stehen die Chancen gut, dass sie das schafft.
S. Alex Yang ist ausserordentlicher Professor für Verwaltungswissenschaft an der London Business School. Angela Huyue Zhang ist Juraprofessorin an der University of Hong Kong. Copyright: Project Syndicate.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Meinung – Der Ausstieg aus Covid ist nicht einfach
China wird die Null-Covid-Strategie nicht über Nacht aufgeben, sondern stufenweise und kontrolliert, genauso wie vor Jahrzehnten die Wirtschaft geöffnet wurde. Allerdings muss Peking dieses Mal schneller vorgehen.