Konjunktur DeutschlandDeutsche Wirtschaft steckt in der Rezession
Die deutsche Wirtschaft ist wegen der immer noch hohen Inflation sowie der geringen Konsumausgaben in eine Rezession gerutscht.

Sinkende Konsumausgaben der unter stark steigenden Preisen ächzenden Verbraucher haben die deutsche Wirtschaft erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 in eine Rezession gestürzt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte von Januar bis März um 0,3% zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Es revidierte damit seine ursprüngliche Schätzung von Ende April, die noch eine Stagnation ergeben hatte. Im vorangegangen vierten Quartal 2022 war die Wirtschaftsleistung sogar um 0,5% gesunken. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge wird von Rezession gesprochen.
«Es gab sie doch – die Winterrezession», sagte DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle. «Unter der Last der immensen Inflation ist der deutsche Konsument in die Knie gegangen und hat die gesamte Volkswirtschaft mit sich gerissen.» Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht das genauso: «Die massiv gestiegenen Energiepreise haben im Winterhalbjahr ihren Tribut gefordert». Wegen stark steigender Preise erlitten die Verbraucher deutliche Kaufkraftverluste, weil die Löhne langsamer stiegen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht wegen der schwachen Wirtschaftsdynamik Handlungsbedarf. «Das ist ein Auftrag an die Politik», sagte der FDP-Vorsitzende in Berlin. Deutschland drohe auf Abstiegsplätze abzurutschen. Deswegen brauche es jetzt auch eine wirtschaftspolitische Zeitenwende, nachdem es diese bereits in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gegeben habe nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Das sehen einige Ökonomen ähnlich. «Man sollte jetzt in Deutschland auch wieder einmal über die mittelfristige Stärkung der Wachstumskräfte reden statt ständig über neue Belastungen für die Wirtschaft und fiskalische Wohltaten aus der Giesskanne», sagte LBBW-Analyst Jens-Oliver Niklasch.
Lindner sagte, man werde Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und mehr Fachkräfte anlocken. Ausserdem werde es noch dieses Jahr weitere Massnahmen geben, um Investitionsbedingungen zu verbessern. Konkret nannte er eine stärkere Förderung von Forschung. Steuererhöhungen werde es dagegen nicht geben, eher würden weitere Entlastungen folgen.
Eine rasche Wende zum Besseren erwarten die meisten Experten aufgrund zahlreicher Belastungsfaktoren nicht: So entfalten die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) gerade ihre volle Wirkung. Die Kreditnachfrage ist wegen der höheren Zinskosten eingebrochen. «Während die inflationären Belastungen langsam abklingen, wachsen diejenigen der restriktiven Geldpolitik», sagte Volkswirt Scheuerle. «Das Gift der Inflation wird mit dem Gegengift hoher Zinsen bekämpft.»
Rezessionsrisiko gestiegen
Der Indikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) – in den zahlreiche Daten aus der Real- und der Finanzwirtschaft einfliessen – signalisiert für die kommenden Monate ein Rezessionsrisiko von 37,6%. Auch die bislang noch robusten Exporteure bekommen angesichts der schwächer werdenden Weltwirtschaft Gegenwind zu spüren. Das Barometer für die Exporterwartungen der Industrie fiel im Mai auf 1,8 Punkte von 6,5 Zählern im April, wie das Münchner Ifo-Institut bei seiner Unternehmensumfrage herausfand. Das ist der niedrigste Wert seit November 2022. «Die weltweiten Zinserhöhungen schlagen langsam auf die Nachfrage durch», sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. «Der deutschen Exportwirtschaft fehlt die Dynamik.»
Viele Experten erwarten daher keinen Aufschwung. Im Gegenteil: «Düster sieht es für das zweite Halbjahr aus», sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. «Dann sind die Nachholeffekte in der Industrie aufgezehrt. Einen Ausgleich für den zu erwartenden fortgesetzt schwachen privaten Konsum und die angeschlagene Bauwirtschaft gibt es damit nicht mehr.» Der Schrumpfkurs der deutschen Wirtschaft werde sich daher vermutlich fortsetzen.
Weniger Autos und Schuhe gekauft
Ausgebremst wurde die Konjunktur im ersten Quartal vom abnehmenden privaten Konsum. Dieser sank im ersten Quartal um 1,2%. «Die Kaufzurückhaltung der privaten Haushalte zeigte sich in verschiedenen Bereichen» so die Statistiker. «Sowohl für Nahrungsmittel und Getränke als auch für Bekleidung und Schuhe sowie für Einrichtungsgegenstände gaben die privaten Haushalte weniger aus als im Vorquartal.» Daneben wurden weniger neue Pkw gekauft, was auch mit dem Wegfall der Prämien für Plug-in-Hybride und der Reduzierung der Prämien für Elektrofahrzeuge zu Jahresbeginn zu tun haben dürfte.
Kein starker Aufschwung in Sicht
Auch der Staatskonsum gab nach, und zwar um 4,9%. Positive Impulse kamen dagegen von den Investitionen, die um 3,9% wuchsen. Hier legten insbesondere die Bauinvestitionen zu, weil wegen des milden Winters weitgehend durchgearbeitet werden konnte. Allerdings dürfte das nicht anhalten, weil insbesondere dem Wohnungsbau die Aufträge wegen gestiegener Material- und Zinskosten weggebrochen sind. Auch der Aussenhandel stützte die Konjunktur, da 0,4% mehr Waren und Dienstleistungen exportiert wurden. Die Importe schrumpften dagegen.
Die Bundesregierung rechnet in diesem Jahr mit einem BIP-Wachstum von 0,4%. 2024 soll es dann zu einem kräftigeren Anstieg von 1,6% reichen. Viele Ökonomen sind pessimistischer. Commerzbank-Chefökonom Krämer rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr von 0,3%, dem 2024 eine Stagnation folgen soll.
Ökonomen zur Rezession in der deutschen Wirtschaft
Jens-Oliver Niklasch, LBBW:
«Das kommt eigentlich nicht überraschend nach den sehr schwachen Zahlen im März, wenngleich das Ausmass der Revision schon erschreckend ist. Wir sind damit jetzt quasi amtlich in einer ausgeprägten Rezession. Die Frühindikatoren lassen erwarten, dass es im zweiten Quartal ähnlich schwach weitergeht. Im Grunde eine erwartbare Stabilisierungsrezession nach den Zinserhöhungen der EZB. Aber auch eine gute Gelegenheit, uns fiskalisch und wachstumspolitisch ehrlich zu machen. Man sollte jetzt in Deutschland auch wieder einmal über die mittelfristige Stärkung der Wachstumskräfte reden statt ständig über neue Belastungen für die Wirtschaft und fiskalische Wohltaten aus der Giesskanne.»
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank:
«Düster sieht es für das zweite Halbjahr aus. Dann sind die Nachholeffekte in der Industrie aufgezehrt und einen Ausgleich für den zu erwartenden fortgesetzt schwachen privaten Konsum und die angeschlagene Bauwirtschaft gibt es damit nicht mehr. Der Schrumpfkurs der deutschen Wirtschaft wird sich im zweiten Halbjahr vermutlich fortsetzen.»
Andreas Scheuerle, Dekabank:
«Es gab sie doch – die Winterrezession. Unter der Last der immensen Inflation ist der deutsche Konsument in die Knie gegangen und hat die gesamte Volkswirtschaft mit sich gerissen. Eine schnelle und deutliche Wende zum Besseren ist aber nicht in Sicht. Während die inflationären Belastungen langsam abklingen, wachsen diejenigen der restriktiven Geldpolitik. Das Gift der Inflation wird mit dem Gegengift hoher Zinsen bekämpft.»
Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt:
«Damit ist das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale in Folge zurückgegangen; das häufig verwendete Kriterium für eine technische Rezession ist erfüllt. Die massiv gestiegenen Energiepreise haben im Winterhalbjahr ihren Tribut gefordert. Leider ist eine grundlegende Besserung nicht in Sicht, weil nach dem gestrigen Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas nun alle wichtigen Frühindikatoren im verarbeitenden Gewerbe sinken.»
REUTERS
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