Die Angst geht wieder um – die Angst vor einer neuen Technologie. Dieses Mal ist es KI, die künstliche Intelligenz, in der Form grosser Sprachmodelle (Large Language Models, LLM) wie OpenAI-GPT, die viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte ersetzen könnte.
Wer schon einmal mit einem dieser Modelle gespielt hat, die mittlerweile vielfach zugänglich sind (wie z.B. bei Microsofts Suchmaschine Bing), der weiss, wie eindrucksvoll sie besonders mit komplexer Sprache umgehen können. Ein Gedicht zum Vatertag? Ein Limerick auf den 1. April? Eine freundliche E-Mail an den Chef, die man mit einem Einzeiler generiert? Alles kein Problem, häufig von erstaunlicher Eloquenz geprägt. Vor allem das neueste Modell von OpenAI, GPT-4, brilliert mit einer enorm breiten Wissensbasis und genauem Textverständnis. Schlagend ist vor allem, wie schnell die neue Technik ihren Siegeszug vollzieht. Vor drei Jahren hatten noch die wenigsten von ihr gehört, vor einem Jahr war die erste Version einigen Testern vorgestellt worden, die neuesten Versionen der vergangenen Monate stellen nun Riesenfortschritte in der Qualität unter Beweis.
Dennoch sollte man klar sagen, dass derzeit häufig noch wichtige Elemente fehlen: GPT kennt die Welt nur bis zum Sommer 2021, alles danach ist dem Programm unbekannt. Fragt man, wer derzeit im Vereinigten Königreich herrscht, so erhält man «Königin Elisabeth II.» zur Antwort. Auch die Interaktion mit anderen Informationsquellen ist derzeit noch schwerfällig. Nur bei einzelnen Produkten lassen sich längere Texte oder gar Bildquellen hochladen. Hinzu kommen Probleme mit dem Charakter der Chatbots. Microsofts Bing ist, nicht ganz überraschend für Kenner des Softwareunternehmens, oft ruppig im Umgang mit den «Kunden» und beendet auch gern einmal das Gespräch, wenn man auf einen Fehler hinweist. GPT wiederum «halluziniert» oft, erfindet Artikel, die es nicht gibt, oder versteigt sich zu Behauptungen über alternative Fakten.
«Statistische Papageien»
Doch auch wenn es an der Feinabstimmung mangelt: Die Zukunft ist klar erkennbar. Automatisierte Schnittstellen und Plug-ins anderer Software werden die Fähigkeiten der LLM massiv steigern. Schon heute ist dank dieser Programme die Programmierung für auch nur minimal ausgebildete Laien ein Kinderspiel. Was vor neun Monaten noch einen Programmierer mehrere Tage beschäftigt hätte, kann heute ein Anfänger mithilfe dieser Programme zum Laufen bringen. Medizinisches Wissen, häufig auf einem neueren Stand als dasjenige mancher praktizierender Ärzte, ist oft frappierend genau wiedergegeben und leicht zugänglich. Die Evaluation geschriebener Texte, häufig ein vertracktes Geschäft für erfahrene Spezialisten, ist ein Kinderspiel.
«Programme wie GPT sind eher künstlich als intelligent.»
Und so stellt sich eine alte, neue Frage: Wenn die Technik so viel kann, was bleibt dann für die Menschen übrig? Wer soll die Kinderbücher schreiben, wenn GPT es im Minutentakt fertigbringt, unterhaltsame, lehrreiche, wohlklingende und kindergerechte Texte zu verfassen? Wer wird noch in der Finanzbranche als Financial Analyst gebraucht, wenn man GPT mit einem Datendienst wie Bloomberg verheiraten kann und die Analysekapazität von Dutzenden von Mitarbeitern auf Knopfdruck abrufbar ist? Wer wird noch Menschen für das Texten von Werbung einsetzen?
Um die Folgen systematisch abzuwägen, hilft es, wenn man sich zunächst klarmacht, was LLM sind und können und was ihre Fähigkeiten übersteigt. LLM sind natürlich nicht wirklich auf dem Weg, menschliche Intelligenz abzulösen; sie sind «statistische Papageien»: Sie verstehen das, was sie sagen, ebensowenig wie der Papagei, der laut «komm zu Mama» kreischt, wenn sein Herrchen nach Hause kommt. Programme wie GPT sind eher künstlich als intelligent. Sie werden auf möglichst viel Text trainiert; GPT-3 beispielsweise mit 8 Mio. Dokumenten und über 10 Mrd. Wörtern. So lernt das Programm, welches Wort wahrscheinlich als Nächstes kommt, wenn man z.B. «Das haut mich glatt _» sagt. Statistisch ist «um» die richtige Antwort. Diese Einsicht lässt sich dann auf ganze Sätze und Paragraphen übertragen; die LLM schütteln einmal kräftig Wortsäcke mit Milliarden Beobachtungen durch und schauen, was ihre Trainingsdokumente im Durchschnitt zu einem Thema gesagt haben. Je obskurer das Thema, desto weniger «wissen» die LLM. Einfache Fragen sind oft erstaunlich schlecht beantwortet, weil es z.B. keine langen Diskussionen auf Internet-Foren gibt, wie man sie löst.
Einstiegsstellen sind gefährdet
Das aber bedeutet, dass die LLM strukturell bei Fragen und Themen mittlerer Komplexität im Vorteil sind. Überall da, wo viele Leute ähnliche Fragen haben und die Antworten weder sehr einfach noch richtig schwierig sind, können sie punkten. Sie generieren zwar Quellcode für Programme und Text für Aufsätze, der so noch nicht existiert, aber sie schaffen nichts wirklich Neues – es handelt sich um synthetischen Text, der immer nur eine Variation und gerüttelte Abmischung bereits existierender Informationen und Texte ist. Solange es eine Nachfrage nach frischen neuen Texten gibt, brauchen sich Romanciers und Poeten keine Sorgen zu machen; gute Journalisten, die neue Quellen interviewen, die neue Einsichten teilen, ebenso wenig. Auch Wissenschaftler und kreative Werbetexter sollten sich um ihre Stelle wenig Sorgen machen. Eine neue Anzeige oder ein neuer Werbespot, die nur ein Verschnitt alter Ideen sind, haben keinen Erfolg.
Wo es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beschäftigungsveränderungen kommen wird, ist bei Einstiegsstellen für hoch qualifizierte Laufbahnen. Etwa für Finanzanalysten, Forschungsassistenten, Paralegals in Anwaltskanzleien und Geschäftsleitungsassistenten wird es vermutlich deutlich weniger Stellen geben. Überall da, wo das Erstellen einer ersten Übersicht über den existierenden Wissensstand, gepaart mit eventuell ein paar ersten quantitativen Analysen, eine entscheidende Rolle spielt, dürften die LLM derzeit noch existierende Arbeitsplätze ersetzen. Gleichzeitig werden die Manager, Partner und Direktoren, denen sie zuarbeiten, produktiver, und ihre steigende Kaufkraft wiederum wird ausgegeben werden für Güter und Dienstleistungen. Dementsprechend wird sich ein Teil der Beschäftigung verlagern, weg von Bereichen der Dienstleistungsbranche mit hohen Sprach- und quantitativen Analyseanforderungen hin zu Tätigkeiten mit mehr persönlichem Kontakt.
Neue Beschäftigung dank sinkender Kosten
Doch auch wenn nicht alle Finanzanalysten als persönliche Trainer taugen werden, gibt es wenig Anlass zur Sorge: Höhere Produktivität lässt häufig die Kosten sinken, sodass niedrigere Preise für zusätzliche Beschäftigung sorgen. Als Ford die Fliessbandproduktion einführte, stieg zwar die Arbeitsleistung pro Mitarbeiter enorm, doch die Beschäftigung in der Automobilbranche ging nicht zurück, da fallende Preise dafür sorgten, dass sich immer mehr Menschen ein Auto leisten konnten. Wenn LLM beispielsweise in den USA für geringere medizinische Kosten und billigere Anwaltsgebühren sorgen, ist mit höherer Nachfrage zu rechnen.
Langfristig sorgt technischer Fortschritt vor allem für eines: höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf, höhere Löhne, mehr Wohlstand. Obwohl jede Arbeitskraft heute mehr als das Zehnfache der Wirtschaftsleistung ihrer Vorfahren vor 200 Jahren erbringt, geht uns nicht die Arbeit aus. Technische Arbeitslosigkeit ist langfristig fast unbekannt, auch wenn einzelne Ausnahmen wie die einstigen Unruhen unter englischen Textilarbeitern und Tagelöhnern in der Landwirtschaft wichtige Ausnahmen darstellen. Wichtig ist allerdings, dass es bei massiven Verwerfungen ausreichend abfedernde Unterstützung gibt, die bei der beruflichen Neuausrichtung hilft und dafür sorgt, dass niemand unter die Räder kommt, während sich der Arbeitsmarkt neu aufstellt.
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Meinung – Die Arbeit wird uns nicht ausgehen
Künstliche Intelligenz wird zwar bestimmte Stellen in Dienstleistungsbranchen überflüssig machen, doch technischer Fortschritt sorgt längerfristig für höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf, höhere Löhne, mehr Wohlstand.