Unsere Welt ist verwirrend und konfus geworden. Die internationale Wirtschaft funktioniert gut, aber die politische Ökonomie ist von Feindseligkeit gegenüber den Märkten, Frustration über die Globalisierung und Skepsis gegenüber dem Wachstum geprägt. Jede dieser Überzeugungen steht in Wechselwirkung mit den anderen und verstärkt sie. Sogar grosse Teile der globalen Elite ringen die Hände über das vermeintliche Versagen der Märkte, des Globalismus und des Wachstums.
Es ist leicht zu erkennen, woher die Feindseligkeit gegenüber den Märkten kommt. Die Märkte hängen von den Preisen ab, aber die Preise sind für viele Menschen zu einer Quelle der Angst und der Verwirrung geworden. Sie sind nicht nur gestiegen, sondern viele Wunder des 21. Jahrhunderts haben überhaupt keinen offensichtlichen Preis mehr. Die Konsumenten haben sich an eine universelle Internetverbindung und frei verfügbare Dienste wie Suchmaschinen gewöhnt. Sie können ein unendliches Angebot an Unterhaltungsprogrammen herunterladen oder streamen und sind mit Nachrichtenmedien übersättigt, für die sie meist nicht bezahlen (zumindest nicht im herkömmlichen Sinne). In vielen Ländern erhalten die Menschen auch medizinische Leistungen scheinbar umsonst. Sogar das notorisch teure amerikanische Gesundheitssystem verteilte Covid-Impfungen und -Tests.
Zugleich haben die expansive Finanz- und Geldpolitik sowie die Unterbrechung der Versorgungskette infolge der Pandemie und des Überfalls Russlands auf die Ukraine die Inflation angeheizt, sodass sich das tägliche Leben (Energie, Lebensmittel, Wohnen) teurer anfühlt. Wir haben eine Vision von der Zukunft, in der alles kostenlos ist, doch unsere derzeitige Realität fühlt sich unbezahlbar und ausbeuterisch an. Da die Bürger ein Eingreifen der Regierung fordern, um den Preisanstieg zu mildern oder umzukehren, stehen die Politiker unter enormem, unwiderstehlichem Druck zu reagieren.
Der Trugschluss der nationalen Autarkie
Doch diese Reaktionen verschlimmern die Situation oft noch. Wenn die Regierungen bspw. versuchen, die Preise zu drücken, steigt die Nachfrage weiter, und es kommt zu Engpässen in der Versorgung mit Basisgütern. Diese Engpässe schüren dann die Besorgnis über die Abhängigkeit der Wirtschaft von weit entfernten Ressourcen, sei es russischem Gas, taiwanesischen Halbleitern, chinesischer Elektronik oder indischen Antibiotika.
«Die Alternative zu einer transparenten Marktwirtschaft ist nicht eine rational verwaltete Wirtschaft, sondern eine schlechtere Form des Kapitalismus.»
An die Stelle des naiven Vertrauens in die globale Vernetzung ist der gefährliche Trugschluss getreten, dass es besser wäre, all diese internationalen Verflechtungen aufzulösen und auf nationaler Ebene auf die nationalen Bedürfnisse zu reagieren. Die Pandemie und Russlands Krieg haben die Verlangsamung der Globalisierung, die mit der Finanzkrise 2008 begonnen hatte, noch akzentuiert. Nationale Autarkie ist das neue Gebot der Stunde.
Das bringt uns zu der neuen Skepsis gegenüber dem Wachstum. Auch wenn die Deglobalisierung zwangsläufig zu einer Verteuerung der Ressourcen führt, fragen sich manche, ob wir überhaupt so viele Güter von so weit her brauchen. Sollten wir nicht aufhören, in erster Linie in Kategorien des Wirtschaftswachstums zu denken, und uns stattdessen auf die Nachhaltigkeit konzentrieren, die wir durch einen einfacheren Lebensstil erreichen könnten?
Anfälligkeit in Japan und Deutschland
Bücher, die diese No-Growth- oder Degrowth-Agenda skizzieren, sind derzeit Bestseller. In Japan argumentiert der Philosoph Kohei Saito, der Kapitalismus habe seine ökologischen Grenzen erreicht und müsse durch einen Degrowth-Kommunismus ersetzt werden. In Deutschland folgt die Journalistin Ulrike Herrmann der gleichen Logik und prognostiziert ein «Ende des Kapitalismus».
Der Reiz dieser Botschaft liegt jedoch weniger in ihrer Logik als in ihrem Zielpublikum. Japan und Deutschland sind Extremfälle eines demografischen Phänomens, das in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften und – seit kurzem – auch in China weit verbreitet ist. Die Geburtenraten sind rückläufig, und die Leute leben länger, was zu einer Überalterung der Gesellschaft und einer schrumpfenden Bevölkerung führt. Gängige Sorgen um die wirtschaftliche Nachhaltigkeit haben sich daher mit neueren Befürchtungen vermischt, dass die Alten das politische System zu ihrem Vorteil manipulieren könnten. Doch wie die Ökonomen Charles Goodhart und Manoj Pradhan 2020 dargelegt haben, werden diese demografischen Trends und die Gegenreaktion auf die Globalisierung nicht helfen. Im Gegenteil, sie gefährden die Grundlage der Preisstabilität.
Zwar versuchen die neuen Antiwachstumsmanifeste zumindest, einen Plan für eine alternative, nicht preisbasierte, nicht globalisierte Wirtschaft zu entwerfen. Aber die historischen Parallelen, die sie ziehen, sind zutiefst fehlerhaft. Sie lassen sich bspw. vom Grossbritannien des Zweiten Weltkriegs inspirieren, wo strenge Rationierungen dafür sorgten, dass die Reichen nicht zu viel konsumieren konnten. Tatsächlich aber war das Grossbritannien der Vierzigerjahre ausserordentlich abhängig von den USA, d.h. von externen Lieferungen und einer externen Produktivitätsrevolution.
Kollaps der Kommandowirtschaften
Wie in jeder kontrollierten Wirtschaft kam es auch in Grossbritannien zu Engpässen, und es entwickelte sich eine von zwielichtigen Händlern und Gaunern betriebene Schwarzmarktwirtschaft. Genau diese Art von unterirdischen, undurchsichtigen Märkten begünstigt Korruption, Misstrauen und sozialen Verfall. Die Alternative zu einer transparenten Marktwirtschaft ist nicht eine rational verwaltete Wirtschaft, sondern eine schlechtere Form des Kapitalismus.
Einige geplante Systeme sind so starr – so unempfänglich für Rückmeldungen –, dass sie unter dem Druck von Knappheiten zusammenbrechen. Wie der ungarische Ökonom János Kornai gezeigt hat, sind Knappheit und die damit einhergehende Hortung und Dysfunktionalität das, was die kommunistischen Kommandowirtschaften im 20. Jahrhundert untergraben und schliesslich zerstört hat.
Es braucht Märkte und Interkonnektivität
Die Bewältigung der heutigen globalen Herausforderungen erfordert ehrliche Preise, die zuverlässig über die Kosten informieren – und keine Preisunterdrückung. Das wiederum erfordert erhebliche Innovation und Einfallsreichtum. So könnten wir bspw. negative Preise brauchen, um den Konsumenten klarzumachen, dass «kostenlose» digitale Dienste in Wirklichkeit den Verkauf ihrer persönlichen Daten bedeuten; mit anderen Worten, die eigenen Daten sollten einen positiven Preis haben. Für die Umwelt ist eine genaue Preisgestaltung sogar noch offensichtlicher. Die Verursacher von Umweltverschmutzung dürfen nicht davor bewahrt werden, den tatsächlichen Preis für ihre Aktivitäten zu zahlen. Marktbestimmte Energiepreise sind notwendig, um die Konsumenten dazu zu bewegen, ihren CO₂-Fussabdruck zu verringern und um den Investoren ein Signal zu geben, ihre Ressourcen auf billigere kohlenstofffreie Energiequellen umzulenken.
Der Marktmechanismus bezieht seine Kraft aus der Art und Weise, wie er eine Vielzahl dynamischer, interagierender Reaktionen hervorbringt, ein Phänomen, das von keinem Planer in einer Wirtschaft der Knappheit nachgebildet werden kann. Die externen Effekte wirtschaftlichen Handelns müssen eingepreist werden, damit der Markt richtig funktionieren kann. Die Wirtschaft zum Besseren zu verändern, erfordert Mut und Vorstellungskraft, aber auch die Art von konkretem Wissen, das nur der Preismechanismus hervorbringen kann. Wachstum liefert die Ressourcen, die wir brauchen, um grosse Probleme anzugehen. Aber um dies zu erreichen, brauchen wir auch Märkte und Interkonnektivität.
Harold James ist Professor für Geschichte in Princeton. Copyright: Project Syndicate.
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Meinung – Die Armut des Antikapitalismus
Die modische Feindseligkeit gegenüber der Marktwirtschaft zeigt, dass die Funktion von Preisen nicht verstanden wird. Doch ohne Marktmechanismus lässt sich die Wirtschaft nicht zum Besseren verändern.