Zinssitzung der EZBDie EZB schrumpft ihre Bilanz
Viele Beobachter und Anleger erwarten eine kleinere Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte am Donnerstag. Die Euronotenbank könnte erste Details nennen, wie sie ihren riesigen Anleihenbestand langsam schmelzen lässt.

Die letzte Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) in diesem Jahr wird noch einmal spannend. Die eigentliche Entscheidung am nächsten Donnerstag über die Zinshöhe scheint wenige Tage vor dem Termin weniger eindeutig als in den vergangenen Monaten. Anleger dürfte daneben auch brennend interessieren, wann und wie die Notenbank ihren Anleihenbestand abbauen wird. Ohnehin wird ihre Bilanz bis Ende des Jahres bereits um 800 Mrd. € oder rund 10% geschrumpft sein.

Ob der EZB-Rat die Leitzinsen um 0,5 oder wie im September und Oktober um 0,75 Prozentpunkte anheben wird, lässt sich nur schwer beurteilen. Die Anleger an den Terminmärkten nehmen derzeit einem Schritt um 0,5 Prozentpunkte vorweg. Dabei waren sie noch Ende November hin- und hergerissen. Auch gemäss einer aktuellen Umfrage des Finanzdienstleisters Bloomberg unter Bankökonomen dürfte der EZB-Rat die Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte anheben. Der Einlagensatz für Banken läge dann bei 2%.
Jumbo-Zinserhöhung nicht ausgeschlossen
Einige Beobachter lassen sich von den Markterwartungen allerdings nur wenig beeindrucken. Denn ob der EZB-Rat tatsächlich der US-Notenbank folge, die am Mittwoch höchstwahrscheinlich einen kleineren Schritt um 0,5 Prozentpunkte beschliessen werde, sei nicht ausgemacht. «Eine weitere Jumbo-Zinserhöhung ist in den vergangenen Tagen immer wahrscheinlicher geworden», sagt zum Beispiel Carsten Brzeski, Leiter Makro-Research bei der ING Bank. Dafür würden die jüngsten Aussagen von wichtigen Mitgliedern im EZB-Rat sprechen.
Die Entscheidung dürfte letztlich davon abhängen, wie sich die Inflationsprognose der EZB-Mitarbeiter verändert. Die bisherige Vorhersage vom September für das vierte Quartal dieses Jahres lag mit 9,2% knapp einen Prozentpunkt unter den tatsächlichen Werten von Oktober und November: Im Schnitt lag die jährliche Inflationsrate in diesen beiden Monaten bei 10,1%. Dabei waren die EZB-Mitarbeiter in ihren Prognosen schon davon ausgegangen, dass die Teuerung noch bis Ende 2024 über dem mittelfristigen Inflationsziel von 2% liegen werde.
Neue Preisschübe drohen
Auch EZB-Chefvolkswirt Philip Lane, der nicht zu den Hardlinern im Rat gehört, hat sich zuletzt nicht festlegen wollen, ob er für einen kleineren oder einen grösseren Zinsschritt eintreten will. Er hatte kürzlich in einem Blogbeitrag auf der EZB-Webseite viele Faktoren beschrieben, die dazu führen dürften, dass die Teuerung im neuen Jahr nachlässt. So entspannten sich die Lieferengpässe, und die Nachfrage werde durch die bisherigen Zinserhöhungen gedämpft.

Ein weiter Grund für die sinkende Teuerung sei der sinkende Ölpreis, er liegt derzeit bereits 27% unter dem Schnitt im ersten Halbjahr. Der Preis für Ölsorte Brent notiert nahe einem Zwölfmonatstief. Doch Lane warnte wie auch schon zuvor bereits EZB-Direktorin Isabel Schnabel: «Weitere Erhöhungen der Verbraucherpreise, insbesondere für Energie, und eine zweite Runde von Preissteigerungen, die durch den Aufholprozess bei den Nominallöhnen ausgelöst werden, stehen bevor.»
EZB-Bilanz schrumpft
In den Blick der Anleger rückt die Frage, wann die EZB beginnt, ihre Anleihenbestände zu reduzieren. Die Bilanz des Eurosystems, das die nationalen Notenbanken zusammen mit der EZB bilden, dürfte Ende 2022 im Vergleich zum Oktober bereits um rund 10% oder fast 800 Mrd. € geschrumpft sein. Dies liegt daran, dass viele Geschäftsbanken zinsgünstige Kredite (TLRTO) aus Zeiten der Pandemie freiwillig vorzeitig zurückzahlen, nachdem der EZB-Rat die Zinskosten im Oktober nachträglich erheblich angehoben hat.
Nachdem die Banken im November eine Summe von 296 Mrd. € zurückgezahlt haben, werden sie in zwei Wochen 447 Mrd. € vorzeitig tilgen, wie die EZB am Freitag bekannt gegeben hat. Regulär läuft dann auch eine Summe von 52 Mrd. € aus. Insgesamt reduziert sich die ausstehende Summe also um knapp 800 Mrd. €. Derzeit hat die EZB noch Darlehen in Höhe von 1822 Mrd. ausstehen.

Dazu kommen noch Anleihen in Höhe von 4946 Mrd. € auf der Bilanz, die die EZB in den vergangenen Jahren aus geldpolitischen Gründen aufgekauft hat. Im Kampf gegen die Inflation möchte der EZB-Rat die Summe allerdings reduzieren, um so auch die langfristigen Marktzinsen zu erhöhen. Schliesslich sind die zehnjährigen Renditen von Staatsanleihen im Euroraum real (also nach Ausgleich für die erwartete Inflation der Anleger) seit Oktober um rund einen Prozentpunkt gesunken.
EZB lässt Anleihen auslaufen
Gemäss der Bloomberg-Umfrage rechnen aber 91% der befragten EZB-Beobachter nicht damit, dass die Notenbank auf absehbare Zeit ihre Anleihen direkt verkaufen dürfte. Diskutiert wird jedoch, dass die Zentralbank die Bestände auslaufen lässt, ohne dass sie die Rückflüsse wieder anlegt. Dies wird auch quantitative Straffung (QT, Quantitative Tightening) genannt. In der Umfrage rechnen 39% mit dem Beginn der Straffung für März und 33% für April. Demnach könnte der Anleihenbestand im nächsten Jahr um 180 Mrd. € sinken.

Der Gegenposten zu den Anleihenbeständen sind die Summen auf den Geldkonten der Geschäftsbanken. Darauf muss die EZB bei steigenden Leitzinsen auch höherer Zinsen bezahlen. Diese Summe dürfte nächstes Jahr 70 Mrd. € ausmachen, schreiben die Ökonomen von Pictet in einer Studie. Und 2024 könnten es immer noch 50 Mrd. € sein. Damit stellt sich die Frage, wie die EZB mit möglichen Verlusten umgeht.
Drohende Verluste kaum ein Risiko
«Unterm Strich sind die finanziellen Puffer der EZB dank der in der Vergangenheit erzielten Gewinne gross genug», schreiben die Pictet-Ökonomen. So habe das Eurosystem in den vergangenen zehn Jahren, zwischen 2012 und 2021, einen Gewinn von 300 Mrd. € erzielt. Die Währungshüter haben Anleihen unter ihrem Rückgabekurs erworben, und mit den Negativzinsen auf Einlagen der Geschäftsbanken wurden Einnahmen erzielt. Hinzu kommen Bewertungsgewinne von 555 Mrd. € auf Gold oder Fremdwährungen, die als Rückstellung dienen.
Das Eurosystem kann allerdings nicht wie eine Geschäftsbank bankrottgehen, sondern wie jede Zentralbank zu jeder Zeit neues Geld in eigener Währung schaffen: Es schreibt dabei Eurobeträge auf den Konten der Geschäftsbanken gut, wenn diese dem Eurosystem Anleihen als Sicherheiten überlassen oder ihm dauerhaft verkaufen. Mögliche Verluste in der Bilanz der Notenbanken ändern daran nichts und führen im Zweifel auf Jahre hinaus zu geringeren Gewinnausschüttungen an die Eigentümer, also zu einem Grossteil die Regierungen.
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