Interview mit Klimaökonom Ottmar Edenhofer«Die Investorenperspektive bringt uns leider nicht weiter»
Gemäss dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung leisten ESG-Produkte keinen grossen Beitrag zur Rettung des Klimas. Das Klimathema ist so komplex, es muss zunächst volkswirtschaftlich gelöst werden und über einen hohen CO₂-Preis.

Die Bepreisung von CO2-Emissionen gilt als wirkungsvollstes Mittel gegen den Klimawandel. Gerade erst hat die Europäische Union eine Erhöhung der Abgabe beschlossen. Ottmar Edenhofer, Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), ist ein weltweit führender Experte auf diesem Gebiet.
Herr Edenhofer, anlässlich der Weltklimakonferenz vergangenen November in Ägypten warnte Uno-Generalsekretär António Guterres: «Wir sind auf dem Highway zur
Klimahölle.» Er hat dies mit Blick auf die verheerenden Dürren, Überschwemmungen und Waldbrände gesagt, die uns immer öfter heimsuchen. Ist es wirklich so schlimm?
Diese Metapher ist drastisch, aber wir befinden uns mit unserer Klimapolitik in der Tat auf dem falschen Pfad. Es gibt ja den schönen Satz «Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert». Den finde ich sehr treffend. Wir haben viele gute Klimaziele, doch mit unseren CO₂-Emissionen sind wir auf einem historischen Höchststand. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird unsere globale Mitteltemperatur bis Ende dieses Jahrhunderts gegenüber dem vorindustriellen Niveau möglicherweise um 3 bis 4 Grad steigen. Extremwetterereignisse wie die Überflutungen in Pakistan oder die Dürresommer in Deutschland werden häufiger und von ihren wirtschaftlichen Schäden her dramatischer.
Entwicklungsländer, die von den Klimaschäden betroffen sind, fordern Entschädigungen von Industrienationen, die für diese Schäden verantwortlich sind. Wie bewerten Sie diese Loss-and-Damage-Diskussion, die an der Klimakonferenz erstmals so geführt wurde?
Klimapolitisch war die Konferenz kein Erfolg, und diplomatisch konnte ein Scheitern gerade noch abgewendet werden. Die EU hat versucht zu erreichen, dass sich China in die Gruppe der Nettozahler einreiht. Damit ist sie nicht durchgekommen, weil sie dafür zu wenig Unterstützung aus den G-77-Staaten bekommen hat. Vor allem die afrikanischen Länder trauen den Vorschlägen der EU nicht. Die EU muss Vertrauen zurückgewinnen. Es war aber eine wichtige Debatte. China ist kein Entwicklungsland, sondern der Hauptemittent von CO2, der für seine Klimaschäden zahlen müsste. Das ist sehr deutlich geworden.
Sie sind Ökonom. Wie berechnen Sie diese Klimaschäden?
Anhand einer Metrik, der sogenannten Social Cost of Carbon. Eine Tonne CO2 verursacht gemäss unseren Berechnungen heute einen Schaden von über 100 $. Das ist jedoch eine untere Grenze, weil wichtige Schadenkategorien gar nicht berücksichtigt werden, wie der Verlust der Biodiversität, das Artensterben, ethnische Konflikte oder die Veränderung der Niederschläge. Insgesamt könnten diese Kosten pro Tonne CO2 bis zur zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts sogar auf 800 $ steigen. Das ist ein gewaltiger Anstieg, und er zeigt die ökonomische Wucht, die hinter einem ungebremsten Klimawandel steckt.
Es ist doch utopisch, dass dieser Preis jemals bezahlt wird.
Die Kosten des Klimawandels werden bereits bezahlt. Nämlich vor allem von den Staaten des globalen Südens, die überproportional unter den Klimaschäden leiden. Aber absehbar auch von uns, denn über die globalen Lieferketten gibt es auch Auswirkungen auf unsere Wirtschaft, ganz zu schweigen von direkten Schäden, wie denen der Ahrtalflut.
Wie kommen Sie auf 800 $ pro Tonne CO2?
Die 800 $ stehen für das Szenario, in dem die globale Mitteltemperatur ungebremst steigt. Dann nähmen nicht nur die Extremwetterereignisse zu. Sondern in vielen Teilen der Welt würde auch die Arbeitsproduktivität sinken. In Teilen Afrikas würde die Agrarwirtschaft schwer getroffen, was dort zu einem Verlust des BIP von 14 bis 20% führen könnte.
Sie kritisieren, dass viele Staaten zu wenig offenlegen, um die Folgen für den Klimawandel abzubilden. Wie meinen Sie das?
Was die Staaten auf den Tisch legen, entspricht leider dem Szenario einer Erwärmung um 2,7 bis 3 Grad statt, wie von den Staaten beschlossen, 1,5 bis 2 Grad. Zudem haben viele Staaten ihre guten Vorsätze der Emissionsminderung nicht eingelöst. Diese Implementierungslücke ist aus meiner Sicht das grosse Problem der Gegenwart.
An Geld mangelt es nicht, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht. Was könnte die Finanzindustrie tun?
Es wird zu wenig in den Klimaschutz investiert. Die wichtigsten Akteure beim Kohleausstieg sind die multilateralen Entwicklungsbanken. Bislang haben sie bei der Finanzierung der Kohleinfrastruktur eine grosse Rolle gespielt. Diese Mittel müssen nun umgelenkt werden.
Die Kapitalkosten in den Schwellen- und den Entwicklungsländern sind exorbitant hoch. In diesen Ländern lohnen sich Investitionen in erneuerbare Energien daher oft gar nicht.
Wie könnte das geschehen?
Die Kapitalkosten in den Schwellen- und den Entwicklungsländern sind exorbitant hoch. In diesen Ländern lohnen sich Investitionen in erneuerbare Energien daher oft gar nicht. Der technische Fortschritt – also die Kostensenkungen bei den erneuerbaren Energien – wird durch diese hohen Kapitalkosten zunichtegemacht. Erneuerbare Energien sind hoch empfindlich gegenüber Kapitalkosten, während die Betriebskosten dann niedrig sind. Nun ist es dringend notwendig, die multilateralen Banken zu ermächtigen, sich eine Lösung zu überlegen, wie diese Kapitalkosten gesenkt werden können. Dieses Szenario würde auch privates Kapital anziehen.
Können Sie dazu Beispiele nennen?
Das fängt bei der Kreditvergabe an. Die Entwicklungsbanken müssen Möglichkeiten schaffen, damit diese Staaten sich Geld günstig, mit verringerten Risikoaufschlägen, besorgen können. Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit, dass die Entwicklungsbanken Kohlekraftwerke aufkaufen, stilllegen und mit den Betreibern eine Art Übergangserlös vereinbaren. Hiermit könnten die Staaten vergünstigte Kredite vergeben, um die erneuerbaren Energien zu subventionieren. Ein solches Modell wäre für Länder wie Vietnam und Indonesien durchaus attraktiv.
Das wäre dann das Thema für die nächste Klimakonferenz?
Nein, das kann nicht warten. Wir haben eine Dekade bereits verbummelt. Da rennt uns die Zeit davon. Solche Programme müssen jetzt sofort aufgesetzt werden, und es gibt ja schon sehr konkrete Pläne und eine entsprechende Initiative der Regierung von Barbados.
Woran muss konkret gearbeitet werden?
Die USA, China und Europa müssen zusammenkommen, um die Emissionen zu drosseln. Sie müssen die Subventionen für fossile Energien stoppen, eine belastbare CO2-Einpreisung einführen und einen Schuldenerlass für arme Länder, die von Naturkatastrophen betroffen sind, gewähren. Diesbezüglich ist die internationale Politik noch nicht «fit for purpose». Vielleicht kann die G-7-Initiative eines Klima-Clubs helfen.
Das setzt viel internationale Zusammenarbeit voraus. Nun taucht aber gerade bei einem grossen CO2-Verursacher, den USA, ein möglicher Präsident Donald Trump wieder am Horizont auf. Der hält wenig von den Theorien zum Klimawandel. Wie gross wäre der Rückschritt für solche Initiativen, wenn Trump wiedergewählt würde?
Ob Donald Trump es schafft, steht ja noch gar nicht fest. Doch genau wegen dieser Unsicherheiten benötigen wir jetzt eine Finanzarchitektur, die gegen einschneidende politische Regierungswechsel auf der Welt resistenter als bisher ist. Die schlechten Szenarien müssen wir im Blick haben und Risiken einpreisen.
In dem Fall wird die Wirtschaftswissenschaft gerade wichtiger bei der Bekämpfung des Klimawandels?
Ja. Aber leider haben wir teils grosse Schwierigkeiten, angesichts der Flut an gegenwärtigen Krisen, mit unseren Forschungsergebnissen bei politischen Entscheidungsträgern durchzudringen. Wir bekommen viel grundsätzliche Zustimmung, aber es fehlt oft immer noch an tatsächlicher Umsetzung.
Sie üben wahnsinnig viele Mandate aus. Beraten Sie auch die Finanzindustrie?
Wir arbeiten sehr viel mit Versicherungsgesellschaften zusammen und haben eine Forschungsgruppe, die sich mit den globalen Kapitalmärkten beschäftigt. Es reicht ja nicht, einfach CO2-Preise einzuführen, sondern wir beschäftigen uns damit, wie im Zusammenspiel von Finanzsektor und Regierungen komplexe Energiesteuerreformen aufgesetzt werden können. Das geht in den Bereich Public Finance. Auch mit den Zentralbanken arbeiten wir, für sie werden die Klimarisiken immer wichtiger.
Der Finanzsektor wiederum hat ganz eigene Ideen, wie der Klimawandel aufgehalten werden kann, und wirbt mit Produkten, die angeblich die Mangrovenwälder schützen oder die Solarenergie fördern. Oft sind das Fonds. Was halten Sie davon?
Die Frage, ob konkrete Finanzprodukte Greenwashing betreiben, muss die Bankenaufsicht entscheiden. Aber es gibt ja die Vorstellung, Finanzmarktakteure bereinigen ihr Portfolio, indem sie Unternehmen, die sich auf fossile Energieträger konzentrieren, ausschliessen. Da bin ich sehr skeptisch.
Warum?
Obwohl manche Akteure ihre Aktien, die mit fossilen Energieträgern verbunden waren, verkauft haben, sind die Renditen der fossilen Unternehmen nicht gesunken. Es gab keinen Kursverfall, diese Papiere haben nur den Besitzer gewechselt. Die Finanzmärkte würden ihr Portfolio nur verändern, wenn die grünen Unternehmen eine höhere Rendite einfahren würden als die braunen. Und genau das würde geschehen, wenn wir einen glaubwürdigen und hohen CO2-Preis bekämen. Dann hätten Unternehmen, die auf grüne Technologien setzen, plötzlich eine sehr hohe Rendite. Alle anderen wären dem Risiko eines weiter steigenden CO2-Preises ausgesetzt. Das würde sie zwingen, ihr Geschäft so auszurichten, dass die Emissionen runtergehen. Denn nur so könnten sie dann konkurrenzfähig bleiben. Dieser Mechanismus würde die Märkte fundamental verändern.
Angenommen, Sie erben 1 Mio. Fr. und bringen das Geld zu einer Bank. Die Kundenberater empfehlen Ihnen ESG-Fonds und ähnliche Produkte. Welche Anlageentscheidungen würden Sie in so einem Fall treffen?
Ich bin gerne Teil eines ethischen Investments und bereit, gewisse Renditeabschläge hinzunehmen. Aber ich würde mich nicht in der Illusion wähnen, mit diesen Anlagen einen grossen Beitrag zur Rettung des Klimas zu leisten. Hätten wir jedoch einen CO2-Preis, könnte ethisches Investieren eine grosse Kraft entfalten. Das ist der springende Punkt.
Andersherum gefragt: Ein grosses Family Office fragt Sie an, wie 1 Mrd. Fr. am besten klimagerecht angelegt werden kann. Was ist Ihr Vorschlag?
Grundsätzlich sollten Unternehmen gefördert werden, die neue Technologien entwickeln. Das ist leider mit vielen Risiken verbunden, auf Kosten der Rendite. Deshalb werden Family Offices diesem Rat nicht folgen.
Wie können diese Anlagen attraktiv werden?
Die Finanzströme müssen grundsätzlich umgeleitet werden, und das geht nur über einen hohen CO2-Preis. Die klassische Investorenperspektive bringt uns hier leider nicht weiter. Das Klimathema ist so komplex, es muss zunächst auf einer volkswirtschaftlichen Ebene betrachtet werden und dann politisch und betriebswirtschaftlich. Nur so kann es uns gelingen, unsere Emissionen zu verringern.
Das heisst, nur der Staat kann uns retten?
Der Staat – oder die Staatengemeinschaft – muss den richtigen Rahmen setzen, der allen Akteuren in der Wirtschaft eine verlässliche Orientierung gibt für ihre Investitionen. Ohne den Staat geht es nicht.

Das Klimathema ist so komplex, es muss zunächst volkswirtschaftlich betrachtet werden und dann politisch und betriebswirtschaftlich.
Ein Phänomen der Finanzindustrie sind Kryptowährungen. Sie gelten als energieintensiv. Wie bewerten Sie die Assetklasse?
Hätten wir einen hohen CO2-Preis, bliebe diesen Unternehmen nur die Alternative, ihr Geschäft komplett mit erneuerbaren Energien zu betreiben.
Auf welche Bereiche trifft das noch zu?
Es wird immer gewisse Unternehmen geben, die von den billigen fossilen Energien profitieren möchten und entsprechende Produkte herstellen. Das zeigt erneut das Grunddilemma. Wir kommen nicht weiter, wenn wir die CO2-Emissionen nicht bepreisen.
Sie haben vorhin die Privatmärkte angesprochen. Die Euroschwäche wird vermehrt von amerikanischen Private-Equity-Investoren genutzt, um in europäische Unternehmen einzusteigen. Auch Anleger aus China drängen in unsere Unternehmenslandschaft. Beides renditeorientierte und nicht gerade klimafreundliche Zeitgenossen. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Zunächst haben wir Ökonomen die Präferenz für freien Handel. Güter und Kapital können sich auf unserem Planeten frei bewegen. Mit Blick auf unsere geopolitischen Konflikte bekommen diese Beteiligungen aber eine neue Dimension. Zudem wird das Thema Energiesicherheit immer dringender. So gesehen wird der Konflikt um Ressourcen, Kapital und Gütermärkte in den nächsten Jahren immer mehr machtpolitisch ausgetragen und wird nicht mehr so stark wie bisher von ökonomischen Renditeüberlegungen bestimmt sein.
Sie sind Ökonom und ein Stück weit ja auch Theologe und gläubig. Sie waren Mitglied im Jesuitenorden und beraten heute Papst Franziskus. Nun sind wir, wie eingangs gesagt, auf dem Weg in die Klimahölle. Wo ist denn Gott bei dieser Reise?
Alles ist in Gott.
Lässt er uns im Stich?
Wir können auf Gott nicht verweisen wie auf Bücher, Autos oder andere Gegenstände. Unsere Sprache stösst hier an ihre Grenzen. Wir verfügen nicht über Gott, aber er ist dennoch nah. Hölderlin sagt sinngemäss: Nicht begrenzt werden vom Grössten und dennoch einbeschlossen im Kleinsten, das ist göttlich. Unsere Existenz steht auf festem Grund, und wir hoffen, dass sie ein gutes Ende nehmen wird, trotz des Leids. Dabei dürfen wir uns natürlich nicht darauf verlassen, dass Gott die Probleme löst, die wir verursachen. Das müssen wir selbst tun. Aber unser Tun ist dann nicht mehr so stark von der Angst um uns selbst bestimmt, sondern vom Vertrauen.
Sie glauben also an ein gutes Ende?
Ja. Aber es ist eine Wette auf unsere eigene Existenz, die auch schiefgehen kann.
Spricht da der Ökonom?
Nein, der Theologe in der Schule Pascals. Das drückt mein Lebensgefühl aus, nämlich so zu leben, also ob es Gott gäbe. Es zahlt sich aus.
Dieses Interview ist im FuW-Magazin «Fonds '23» erschienen. Hier finden Sie weitere Beiträge zum Thema nachhaltiges Investieren.
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