Kaffee mit Christina Hartmann«Die Reise war eine Grenzerfahrung auf mehreren Ebenen»
Die Seglerin über das Abenteuer, die Nordwestpassage zu durchqueren, den Seeweg der nördlich von Amerika den Pazifik mit dem Atlantik verbindet.

«Es wurde mir erst im Nachhinein so richtig bewusst, was wir da eigentlich geschafft haben», erzählt Christina Hartmann. Zusammen mit einer Bündner Familie hat sie 2016 die Nordwestpassage durchsegelt, den 5780 Kilometer langen Seeweg, der nördlich von Amerika den Pazifik mit dem Atlantik verbindet. Mit dabei: die fünf Kinder der Familie, das jüngste einjährig.
Als wäre das nicht schon herausfordernd genug, haben sie auf einer Teilstrecke auch noch eine neue Route erschlossen. Einen Seeweg, den bisher überhaupt noch nie jemand durchsegelt hat. «Dort ist es sehr eng, voller Eis, wir wussten nicht, was uns erwartet. Da hatte ich schon Respekt. Wir waren 24 Stunden lang wach. Einer stand vorne und hat nach Eisbergen Ausschau gehalten, einer hat gesteuert, es brauchte unsere volle Konzentration. Aber das Gefühl, als wir es geschafft haben, war überwältigend.»
Eigentlich ist Christina Hartmann Lehrerin. Seit dem Abschluss ihrer Ausbildung arbeitet sie aber ausschliesslich als Stellvertreterin auf ihrem Beruf. Denn ihre wahre Leidenschaft ist das Segeln. Und das kam so: «Als ich 19 war, reiste ich mit Freundinnen nach Panama. Ich wollte unbedingt segeln, das hatte ich mir in den Kopf gesetzt. Ich konnte es aber noch nicht. Also habe ich alle gefragt, ob sie ein Boot haben, ob sie mich mitnehmen würden.»
Irgendwann hatte sie Glück: Ein paar junge Männer, «die übrigens sehr hübsch waren», mussten ein uraltes Segelschiff für dessen Besitzer von Panama nach Costa Rica überführen. Christina durfte mitfahren – und wurde vom Segelfieber gepackt. «Am Segeln fasziniert mich das Abenteuer, dass man irgendwo hinreisen kann, wo zuvor noch kaum jemand war», erzählt sie bei einem Kaffee in der Berner Bar Sattler.
Nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin arbeitete sie ein halbes Jahr, «um etwas Geld zu haben», dann ging sie zehn Monate lang von Segelschiff zu Segelschiff, half überall mit, verdiente nichts, aber erhielt Kost und Logis und sammelte Erfahrung. Später machte sie den Hochseeschein, dann die Ausbildung zur Skipperin.
Eine entscheidende Wendung nahm ihr Leben aufgrund einer Fernsehdokumentation, die sie sah. Darin wurde die Familie Schwörer porträtiert, die mit Schiff, Velo und zu Fuss um die Welt reist. Zu zweit losgezogen, haben Schwörers mittlerweile sechs Kinder und sind noch immer unterwegs. In der Fernsehdokumentation sagten die Eltern, dass sie eine Lehrerin für ihre Kinder suchten, die mit ihnen mitreise. «Da habe ich mich gemeldet», erzählt die heute 39-Jährige.
Es war der Auftakt zu einer engen Freundschaft – Christina ist mittlerweile die Gotte von einem der Kinder – sowie zu einem ihrer grössten Abenteuer. «Nachdem wir schon einige Reisen zusammen gemacht hatten, fragte mich die Familie, ob ich bei der Nordwestpassage dabei wäre. Zuerst habe ich abgesagt, weil ich so ein Gfröörli bin. Aber dann dachte ich, dass ich mir so ein Abenteuer doch nicht entgehen lassen kann.»
Die Nordwestpassage war bis vor wenigen Jahren so gut wie undurchquerbar, da der Seeweg auch im Sommer voll Packeis war. Zwar gab es schon früher Abenteurer, die ihr Glück versuchten, und teilweise auch erfolgreich waren. Für «normale Segler» war eine Durchquerung aber nicht möglich. Das hat sich unterdessen aufgrund des Klimawandels etwas verändert. Allerdings ist die Durchfahrt nach wie vor schwierig und riskant. «Es gibt nur wenige Normalsterbliche, die das gemacht haben», erzählt Christina Hartmann.
In dem Jahr, in dem sie gemeinsam mit Schwörers, damals mit fünf Kindern, die Passage durchsegelte, versuchten es noch zwei andere private Schiffe, ein israelisches und ein chinesisches. Das chinesische schaffte es nicht und musste umkehren. Es war auch das Jahr, in dem erstmals ein Kreuzfahrtschiff die Nordwestpassage befuhr.
«Die Reise war eine Grenzerfahrung auf mehreren Ebenen», erzählt Christina. «Wir haben Essen für sechs Monate mitgenommen, obwohl wir nur drei Monate unterwegs waren. Aber wir mussten auf alles gefasst sein. Es hätte sein können, dass das Eis plötzlich zumacht und wir dort oben hätten überwintern müssen. Das wäre das Horrorszenario gewesen.»
Um für den schlimmsten Fall gewappnet zu sein, wurde das Essen extrem rationiert, insbesondere die frischen Produkte: «Jeder bekam pro Tag ein Viertel Apfel und ein Viertel Orange.» Auch beim Diesel wurde gespart, um auf keinen Fall festzusitzen. Geheizt wurde daher kaum. «Im Schiff war es im Durchschnitt um die 12 Grad.» Und das über drei Monate hinweg. «Den Kindern hat das nichts ausgemacht, die sind herumgerannt und hatten warm. Ich hatte aber manchmal Mühe, mich warm zu halten.»
Hinzu kam die Enge auf dem 15 Meter langen Schiff, null Privatsphäre und der Schlafentzug: Einer der drei Erwachsenen musste steuern, rund um die Uhr. «Wir haben immer vier Stunden geschlafen, dann wieder zwei Stunden gesteuert, und das den ganzen Tag und die ganze Nacht, drei Monate lang.» Die Belohnung für die Strapazen: Sie sahen Eisbären in freier Wildbahn, Inuit-Dörfer, die wohl noch kaum ein Mensch je besucht hat, und bei der Ankunft in Nova Scotia wurden sie vom ganzen Dorf gefeiert.
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