Interview mit Charles Wyplosz«Die Schweiz hat jetzt das grösste Bankrisiko der Welt»
Um der neuen UBS Paroli zu bieten, müsse sich die Aufsichtsbehörde Finma neu erfinden, sagt der Genfer Wirtschaftsprofessor Charles Wyplosz. Gegen einen Bankensturm wie bei Credit Suisse nütze zusätzliches Eigenkapital nichts.

Das Schicksal von UBS und das der Schweiz seien jetzt eng verflochten, sagt Charles Wyplosz, Professor für International Economics am Graduate Institute in Genf. Am vergangenen Wochenende hätten der Bundesrat und die Nationalbank angesichts der Grösse von UBS gegenüber der Schweizer Wirtschaft die weltgrösste Too-big-to-fail-Bank geschaffen.
Herr Wyplosz, nach UBS 2008 wird jetzt auch Credit Suisse vom Staat gerettet. Was läuft falsch?
Einen Bankkollaps können die seit der Finanzkrise eingeführten strengeren Vorschriften nicht verhindern. Diese Regeln machen Banken zwar widerstandsfähiger gegen verschiedene Schocks. Sie wirken aber nicht gegen einen Bankensturm, einen Bank Run, wenn Kunden ihr Geld abheben.
Wie ist es zum Sturm auf Credit Suisse gekommen?
Wer fällt als Nächster? Das fragt der angsterfüllte Markt nach der Pleite der Silicon Valley Bank in den USA. Credit Suisse war weit weg von einem Konkurs. Dennoch wurde sie vom Markt ins Visier genommen, wegen all der vorangegangenen Skandale und Probleme. Und immer mehr Kunden zogen ihr Geld ab, aus Vorsicht – genau darum geht es bei einem Bank Run.
«Die Rettungsaktion hat das Problem kurzfristig behoben. Auf längere Sicht wird alles äusserst kompliziert.»
Für die beiden Schweizer Grossbanken hat es eine implizite Staatsgarantie gegeben. Wird sie nun für UBS noch ausgeprägter?
Ja. In der Finanzkrise 2008 haben wir gelernt, dass Too big to fail gefährlich ist und wir eigentlich keine Banken haben sollten, die zu gross sind, um zu scheitern. Am vergangenen Wochenende ist mit der neuen UBS im Vergleich zur Schweizer Wirtschaft die global grösste Too-big-to-fail-Bank geschaffen worden. Die Schweiz hat jetzt das grösste Bankrisiko der Welt. Das geht in eine völlig falsche Richtung.
Hat die Schweiz am Wochenende einen riesigen Fehler gemacht?
Ich sage nicht, der Bundesrat und die SNB hätten falsch entschieden. Der Zeitdruck war gross, sie mussten eine Lösung finden. Die Rettungsaktion war gut und hat das Problem Credit Suisse kurzfristig behoben. Auf längere Sicht wird alles äusserst kompliziert.
Die Banken seien viel sicherer als vor der Finanzkrise, sagen Analysten.
Das ist korrekt. Aber wenn ein Bank Run ins Rollen kommt, dann helfen auch die strengsten Regeln nicht mehr, und die Bank steuert auf den Kollaps zu. Fragen gibt es allerdings zur Aufsicht.
Was hätten die Aufsichtsbehörden tun können?
Offenbar hatte die Distriknotenbank in San Francisco gegenüber der Silicon Vally Bank seit mehr als einem Jahr ernsthafte Schwächen angezeigt. Die Bank hat nicht geantwortet, und die Behörden waren geduldig. Damals wäre genug Zeit gewesen, die Probleme zu beheben. Bei Credit Suisse hatte ich wegen der Skandale seit längerem befürchtet, dass etwas Schlimmes geschehen könnte.
«Auf einen Bank Run war vermutlich niemand vorbereitet, damit hatte man schlicht nicht gerechnet.»
Weshalb hat die Aufsichtsbehörde Finma nichts unternommen?
Die Finma hat in einem solchen Fall wohl nicht die Autorität, die Bank zu einer Reorganisation zu zwingen. Geduldig ist sie offenbar ebenfalls. Und auf einen Bank Run war vermutlich niemand vorbereitet, damit hatte man schlicht nicht gerechnet.
Welche Lehre sollten wir aus dem Bailout ziehen, brauchen wir neue Regeln?
Wenn UBS und Credit Suisse einzeln zu gross waren, um zu scheitern, dann ist die neue UBS massiv too big to fail. Ihren Kollaps würde die Schweiz kaum überstehen. Das Schicksal von UBS und das der Schweiz sind jetzt eng verflochten. Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Monaten ernsthaft über neue Regeln diskutiert wird. Auch mangelnder Wettbewerb ist ein Problem, aber darüber bin ich weniger besorgt.
Wie lässt sich das Too-big-to-fail-Problem verkleinern?
Eine Lösung wäre, UBS aufzuspalten. Der Teil mit den Kundenguthaben wäre allerdings immer noch sehr gross und bei einem Bank Run gefährdet – und dagegen können wir nichts vorkehren. UBS würde sich natürlich gegen eine Aufspaltung wehren, wofür sie allen Grund hat, nachdem sie Credit Suisse übernommen hat. Umso wichtiger ist künftig die Aufsicht.
«Die Finma benötigt erstklassige ehemalige Bankangestellte, um UBS zu überwachen.»
Wie kann die Aufsichtsbehörde der neuen UBS Paroli bieten?
Die Finma braucht mehr Befugnisse und mehr Geld. Sie benötigt erstklassige ehemalige Bankangestellte, um UBS zu überwachen. Es braucht häufige Kontrollen, um schnell zu erkennen, wenn etwas in die falsche Richtung läuft. Die Finma muss sich neu erfinden, um mit einer solch riesigen Bank zurechtzukommen.
Würde es helfen, UBS viel mehr Eigenkapital vorzuschreiben?
Das schützt gegen viele Schocks, aber nicht gegen einen Bank Run. Wenn er beginnt, müsste eine Bank für die Guthaben 100% liquide Mittel bereitstellen, um den Kunden versprechen zu können, dass sie ihr Geld zurückerhalten. Helfen würde auch eine entsprechend grosse Kreditlinie der Notenbank, doch das kreiert Moral Hazard – die Begünstigung von Fehlverhalten. Wenn die Bank eine Garantie hat, dass sie in jeglicher Krise geschützt wird, dann geht sie zu grosse Risiken ein.
«Wenn ich in der Regierung, der Finma oder der SNB wäre, würde ich mir grosse Sorgen machen.»
Kann die Schweiz das Risiko UBS tragen?
UBS ist jetzt so wichtig, dass der Bundesrat und die Nationalbank ihr kaum mehr etwas verweigern können. Sie ist noch grösser als zuvor, und sie erwartet Entgegenkommen von der Regierung, da sie Credit Suisse übernommen und damit der Schweiz geholfen hat. UBS hat eine starke Machtstellung, was aus vielen Gründen ungesund ist, inklusive Moral Hazard.
So bräuchte es erst recht strengere Vorschriften.
Die Standardregulierung, die wir haben, genügt nicht. Gegen schärfere Regeln wird sich UBS wehren, und sie hat die Mittel dazu. Wenn ich in der Regierung, der Finma oder der SNB wäre, würde ich mir grosse Sorgen machen.
«Die Zinsen steigen weiter, und es wird mehr Verluste geben. Die Krise ist noch nicht vorbei.»
Worauf läuft es hinaus?
Letztlich werden wohl die Vorschriften für Eigenkapital und Liquidität verschärft, und UBS wird aufschreien. Zudem wird die Finma besser ausgestattet. Und die SNB macht wegen der Gefahr des Moral Hazard viel Lärm, dass sie UBS künftig nicht stützen werde – was natürlich unmöglich ist. Deshalb müssen wir Massnahmen einführen, um Moral Hazard zu verringern, das ist neu. Es gibt keine einfache Lösung. Die neue Situation ist beispiellos.
Ist wenigstens der Bank Run vorbei?
Der Ablauf erinnert an 2008. Als die Finanzkrise anfing, gab es die gleiche Reaktion: Wer fällt als Nächster? Der Unterschied zu damals liegt darin, dass die Aufsichtsbehörden und die Notenbanken genau verstehen, was vor sich geht. Diesmal lassen sie die Krise nicht wochenlang gären, sondern sie reagieren schnell. Die Behörden haben ihre Lektion gelernt – anders als die Banken. Doch die Zinsen steigen weiter, und es wird mehr Verluste geben. Die Krise ist noch nicht vorbei.
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