Gewonnen ist gewonnen, auch an der Urne. Aber mit Blick auf die Umfragen, die zu Beginn eine komfortable Mehrheit für AHV21 vorausgesagt hatten, und die schiefen und unsachlichen Argumente des Contra-Komitees ist das Ja zur Reform des Vorsorgewerks erstaunlich, um nicht zu sagen erschreckend knapp ausgefallen. Schon bald wird sich wieder ein Reformstau bilden.
Das Positive vorweg: Zum ersten Mal seit einer Generation ist es mit Müh und Not gelungen, über die Erhöhung des Frauenrentenalters um ein Jahr eine strukturelle Reform der AHV durchzubringen. Zudem wird das Rentenalter flexibilisiert, ein Vorteil, der in der Debatte kaum hervorgestrichen wurde. Noch weniger ein Thema war die eklatante Benachteiligung der jungen Generation im herrschenden System; die Linke konzentrierte sich auf die Frage der Frauendiskriminierung, die just in der AHV selbst überhaupt nicht gegeben ist.
Nur kurz Luft verschafft
Die schlechte Nachricht allerdings besteht neben dem hohen Anteil der Ja-Stimmen in der Abstimmung darin, dass diese Mini-Reform bei weitem nicht ausreicht, um die AHV langfristig zu sichern und zu sanieren. Bereits heute wäre das Umlageergebnis der ersten Säule ohne die zusätzlichen 2 Mrd. Fr. aus der Zwittervorlage Steuerreform und AHV-Finanzierung (Staf) von 2019 im Verlust.
Dem System wird finanziell kurzfristig etwas Luft verschafft. Je nach Börsenlage wird das System jedoch nur sieben bis zehn Jahre einigermassen stabilisiert. Vorausschauend müssten Politik und Stimmvolk ein Interesse daran haben, in nützlicher Frist nächste Reformschritte für die Zeit nach 2030 ins Auge zu fassen.
Das grundlegende Problem, die Alterung der Bevölkerung, bleibt sträflich ungelöst. Der Blick in die Vergangenheit ist wenig hilfreich, weil die besonders geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren in Rente gehen. Das Verhältnis Rentenbezüger und Erwerbstätige wird noch schiefer, die Quersubventionierung zugunsten der älteren Generation noch stossender.
Die Lebenserwartung ist seit der Gründung der AHV 1948 enorm gestiegen. Die Schweiz ist jedoch eines von wenigen westlichen Industrieländern, die ein höheres Referenzalter für die Pensionierung weder eingeführt noch geplant haben. In einem Umlageverfahren, wie es die AHV ist, führt das unweigerlich zu rasch wachsenden Defiziten, es sei denn, man übertünche sie ständig mit Einnahmen – für die aber auch jemand (die «Allgemeinheit» und vor allem die Jungen) bezahlen muss.
Die «Mitte» wirft Flinte schon ins Korn
Man kann es nicht genug wiederholen: Eine – notabene allmähliche, über etliche Jahre erstreckte – Anhebung des Rentenalters besässe den Vorteil, den Hebel sowohl auf der Einnahmen- wie der Ausgabenseite anzusetzen. Idealerweise wäre die Erhöhung an die Lebenserwartung zu koppeln, ein Automatismus, der die AHV den unproduktiven politischen Einflüssen entziehen würde.
Eine Erhöhung des Rentenalters für alle durchzubringen, wird mühselige Überzeugungsarbeit brauchen, so viel ist gewiss. Zwar haben die Gewerkschaften und Linken mit der Frauenfrage ein vorgeschobenes politisches Druckmittel verloren. Doch es ist jetzt schon klar, dass sie jeglichen Schritt nach oben auch in Zukunft bekämpfen werden.
Wenig Erbauliches lässt erahnen, dass «Mitte»-Präsident Gerhard Pfister bereits jetzt im Brustton der Überzeugung verkündet, eine Erhöhung des Rentenalters auf 66 oder 67 habe «politisch keine Chance». Damit zäumt er das Pferd beim Schwanz auf.
Wenn die «Mitte», die der AHV21-Vorlage im Parlament zu einer klaren Mehrheit verholfen hat, opportunistisch auf die Parlamentswahlen im kommenden Herbst schielt und mit der Linken paktiert – wohlan, dann haben strukturelle Reformen der AHV vor dem Stimmvolk tatsächlich keine Chance.
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Meinung zur AHV-Abstimmung – Diskussion um Rentenalter bleibt dringend
Das überraschend knappe Ja zu AHV21 lässt Ungutes für weitere strukturelle Reformen erwarten. Nötig wären sie.