Kaffee mit Florian Burkhardt«Electroboy hat alle interessiert, das war mir irgendwann zu viel.»
Florian Burkhardt hat sich in seinem Leben immer wieder neu erfunden. Seine bedeutendste Rolle wurde aber so gross, dass sie ihn kontrollierte statt er sie.

«Irgendwann war ich es leid, immer dieselben Anekdoten zu erzählen, dieselben platten Witze zu machen», erzählt Florian Burkhardt. Also streifte er das Pseudonym Electroboy ab und holte stattdessen ein anderes Pseudonym hervor, das er vor Jahren schon mal für ein Kunstprojekt verwendet hatte: Form Banal. Unter diesem Namen hat er vergangene Woche ein Album veröffentlicht.
Florian Burkhardt hat sich in seinem Leben immer wieder neu erfunden. Er schloss eine Ausbildung zum Primarlehrer ab, widmete sich dann aber dem professionellen Snowboarden. 1993 gründete er die erste Schweizer Snowboard-Zeitschrift. Danach zog er nach Los Angeles, um Schauspieler zu werden. Stattdessen wurde er als Model entdeckt. Er war international erfolgreich, lief für Labels wie Prada oder Gucci über den Laufsteg.
Nach seiner Modelkarriere zog er nach Zürich, studierte Multimedia Design und arbeitete als Konzepter bei einer der bekanntesten Internetagenturen. Es war die goldene Zeit des Internets, alle wollten einen Internetauftritt. Burkhardt konzipierte die Portale für Grossunternehmen wie SRF, Migros oder Cablecom.
Seine bedeutendste Rolle kam jedoch erst danach. Sie wurde irgendwann so gross, dass sie ihn kontrollierte statt er sie. Florian Burkhardt wurde zu Electroboy. Der Name stand ursprünglich für eine Partyreihe, die er ab 2004 in Zürich organisierte. Die Partys entwickelten sich zu aufwendigen Festivals, Burckhardt wurde 2005 zum «Veranstalter des Jahres» gewählt. Er begann, selbst elektronische Musik zu produzieren, und veröffentlichte fünf CD. Mehr und mehr wurde Florian Burkhardt zum Gesicht der Partyreihe und damit selbst zu Electroboy.
Endgültig mit dem Pseudonym verschmelzen liess ihn der Film «Electroboy», der 2014 ins Kino kam und den Schweizer sowie den Zürcher Filmpreis gewann. Der Regisseur dachte ursprünglich, er drehe einen Film über einen Hochstapler, bis er merkte, dass alles, was Burkhardt erzählte, tatsächlich stimmte. Also zeigte er stattdessen Burkhardts bewegtes Leben sowie dessen tragische Voraussetzungen.
Der heute 47-Jährige wuchs überbehütet auf. Das hängt damit zusammen, dass sein älterer Bruder bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Florian kam erst nach dessen Tod zur Welt. Ihm sollte auf keinen Fall etwas passieren. In der Enge dieser Überbehütung konnte er sich aber auch kaum entfalten. «Bis 21 habe ich kaum Erfahrungen gesammelt», sagt er im Film. Ein Defizit, das er gnadenlos aufgeholt hat.
Burkhardt wurde zum Posterboy der Zürcher Partyszene in den Nullerjahren. «Zum Repräsentanten eines ausgeprägten Narzissmus und einer Generation, die sich im Hype des Internetbooms und der Technoparties austobte», wie es in einem Zeitungsartikel über ihn hiess. Bis alles zu viel wurde. Absturz, Panikattacken. Bereits 2001 litt er unter ersten Angstpsychosen. 2006 verschwand er dann aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustands ganz aus der Öffentlichkeit. Die Panikattacken verunmöglichten es ihm, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Also zog er mit einer kleinen Invalidenrente nach Berlin, da das Leben dort günstiger ist als in der Schweiz.
Bis heute begleiten ihn die Panikattacken. Er habe aber damit leben gelernt, sagt er beim Kaffee in einem kleinen Luzerner Hotel, direkt am Ufer des Vierwaldstättersees. Hierhin, nach Luzern, hat sich Burkhardt mittlerweile zurückgezogen. Er trifft seinen 87-jährigen Vater zwei Mal in der Woche zum Mittagessen. Und: Er hat sich nochmals neu erfunden – wobei es diesmal eher eine Art Heimkehr war. «Die Musik habe ich schon immer geliebt, schon als Kind», sagt er. Also macht er nun wieder Musik, jedoch bewusst nicht mehr als Electroboy.
Von diesem Pseudonym, das ihm unzählige Türen geöffnet hatte, ihn aber auch immer mehr aufzufressen drohte, hat er sich 2019 mit einer Party im Berner Gaskessel öffentlich verabschiedet. «Electroboy war nur noch eine Karikatur», erzählt Burkhardt. Egal, was er getan oder gesagt habe: Die Medien, das Publikum hätten immer nur dasselbe hören und sehen wollen: «Erzähl uns von Hollywood!», «Wie war das als Model?», «Nimmst du noch Medikamente?»
«Die meisten Künstler haben ein Produkt, Musik zum Beispiel», sagt er: «Ich hatte das nicht. Mein Produkt war ich selbst beziehungsweise diese Karikatur von mir.» Der Film, der ganze Mythos um ihn, habe immense Erwartungen geweckt. Er sei von wildfremden Menschen zum Abendessen eingeladen worden. «Sie wollten unbedingt Kontakt mit mir haben, weil sie dachten, ich sei der coolste Typ überhaupt.» Diese Erwartungen habe er nur enttäuschen können.
Nun ist sein neues Album erschienen. «Viel Aufsehen wird das nicht erregen», sagt er im Vorfeld: «Aber das ist in Ordnung. Jetzt bin ich zurück in der Normalität. Ich mache mein Ding, und es interessiert nicht mehr so viele Leute.» Als Electroboy habe er einen Plattenvertrag mit einem bekannten Label erhalten, bevor die überhaupt gewusst hätten, welche Musik er machen wolle. «Electroboy hat alle interessiert, das war mir irgendwann zu viel.»
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