Kaffee mit Marc Zellweger«Es ist cool, dass ich die Kinder aufwachsen sehen kann»
Wie der Fussballgott des FC St. Gallen die Zeit nach dem Rasen gestaltet.

Es gibt viele Episoden, die zeigen, warum Marc «Zelli» Zellweger beim FC St. Gallen nicht nur Kultfigur war, sondern Fussballgott. Zum Beispiel sein Abschied 2001: Als einer der letzten tragenden Spieler der Meistermannschaft verlässt er den Club in Richtung Bundesliga. Nach dem vorläufig letzten Spiel für den FCSG wirft er sein Trikot in die Fankurve vom Espenmoos. Wie auf dem Platz gibt Zelli auch da alles: Hosen, Stulpen, Schuhe – nur die Unterhose behält er an.
Dass Zelli in St. Gallen landet, ist Zufall. «Ich bin in Winterthur aufgewachsen und eher nach Zürich orientiert. Mein Vater war GC-Fan», sagt Zelli bei einer Cola in Rorschach. Weil er beim FC Seuzach in der zweiten Liga viele Tore schiesst, kann er bei GC und dem FCSG 1994 ein Probetraining machen. «Bei GC am Morgen, beim FCSG am Nachmittag. Etwa einen Monat lang.» Während er für Erich Vogel mit seinen zwanzig Jahren zu alt ist, gibt ihm Uwe Rapolder eine Chance. Als Stürmer geholt, rückt er immer weiter nach hinten, bis er rechter Aussenverteidiger ist. «Das war für meine Karriere sicher nicht schlecht. Als Stürmer musst Du kreativ sein, Dich durchsetzen und Tore schiessen. Als Verteidiger musst Du einfach jemanden umhauen und den Ball wegschlagen. Dann ist gut», sagt er schmunzelnd. «Also man muss schon ein bisschen mehr können. Aber ich finde Verteidiger einfacher als Stürmer.»
Eine andere Episode ist der Penalty gegen YB 2004: Goalie Stefano Razzetti foult den anstürmenden Leandro und sieht rot. Weil der FC St. Gallen schon drei Mal gewechselt hat, geht Zelli ins Tor. Er hechtet nach rechts und hält. Auf die Frage, ob er spekuliert habe, antwortet Zelli nüchtern, dass er nur nach rechts hechten könne. Matchentscheidend ist der gehaltene Elfmeter nicht. Der FC St. Gallen verliert 3:1. In Erinnerung bleibt der Spielausgang kaum, der gehaltene Elfmeter hingegen schon.
Vor zehn Jahren hängt Zelli die Fussballschuhe an den Nagel. Er schnuppert unter anderem in der Event AG der AFG Arena, realisiert aber, dass ein Bürojob nichts ist für ihn. Nachdem er bereits ein Fernstudium in Sportmarketing und -management gemacht hat, lässt er sich zum Fitnesstrainer ausbilden. Als ihn der Chef von Update Fitness fragt, ob er nicht die Niederlassung in Rorschach leiten wolle, sagt Zelli zu. Der klassische Wechsel vom Fussballspieler zum Trainer sei für ihn nie in Frage gekommen, obwohl ihn den Juniorenbereich interessiert. So organisiert er auch jährlich Fussballcamps für Kinder, doch Trainer sei ein unsicherer Beruf. «Selbst wenn Du einen guten Job machst, wenn die Vereinsführung wechselt, dann wird meist auch beim Nachwuchs aufgeräumt.» Zudem arbeitet der 49-Jährige Teilzeit und kümmert sich zwei Tage in der Woche um die zwei Kinder im Vorschulalter, genau wie seine Partnerin. «Es ist cool, wenn ich die Kinder so richtig aufwachsen sehen kann.»
Mit 517 Spielen ist Zelli mit deutlichem Abstand Rekordspieler des FC St. Gallen. 15 Jahre lang spielte er insgesamt für den FCSG. Unterbrochen einzig von einem Abstecher zum 1. FC Köln, bei dem er nach einem Trainerwechsel auf dem Abstellgleis landet und zum FC Wil ausgeliehen wird. Dennoch zählt er die Bundesliga zu den Höhepunkten der Karriere.
«Dass ich das erleben durfte: Bundesligaspiele. Nicht so viele, aber immerhin. Da sieht man, was ein Trainerwechsel bewirken kann.» Stolz ist er auch auf seine 13 Spiele mit der Nationalmannschaft – auch das nicht selbstverständlich. Berufen wird er erst mit 28 Jahren. Der Höhepunkt ist aber ganz klar die FCSG-Meistersaison 1999/2000, gefolgt von den internationalen Spielen, besonders das Weiterkommen gegen Chelsea. Ein St. Galler Meistertitel sei heute ebenfalls möglich, auch wenn es «wohl noch schwieriger geworden ist», sagt Zelli. Schon damals sei der Abstand relativ gross gewesen zu den Topclubs, heute sei er noch grösser. «Der FCSG müsste outperformen und Basel und YB schwächeln. Dann ist es möglich, wenn auch extrem schwierig.» Den FCSG verfolgt er immer noch, ist es doch der Club, der ihn am meisten interessiert. Auch wenn er zu den Spielen nicht ins Stadion fährt. Immer unter dem Stadiondach hängt hingegen sein Trikot – als einziges. Und seine Nummer 17 wird beim FCSG nicht mehr vergeben – als einzige. «Das macht mich stolz, aber nicht mehr.»
Zellis Stellenwert zeigt auch sein letzter Auftritt im Stadion des FC St. Gallen 2012: Während der Partie wird er zu Standing Ovations ausgewechselt und danach lässt er sich von den Heimfans feiern. Das Besondere dabei: Er spielte für die Gäste, denn sein Vertrag wird 2010 nicht verlängert. «Ich hätte gerne noch ein Jahr länger beim FC St. Gallen gespielt, hatte aber Glück, dass ich beim SC Brühl spielen konnte.» Und während der FCSG in die Challenge League absteigt, schaffte der SC Brühl – der andere Club aus St. Gallen – überraschend den Aufstieg in die Challenge League.
In Rorschach ist Zelli glücklich. «Ich fühle mich sehr wohl hier.» Seit acht Jahren wohnt er mit der langjährigen Partnerin und den Kindern in Rorschacherberg. Das Pendeln nach Winterthur wie zu Fussballerzeit liegt nicht mehr drin, auch wenn sein Freundeskreis weiter in der Eulachstadt ist. Fussball spiele er heute nur noch selten. Ab und an werde er zu einem Spiel eingeladen, wenn ein Club ein Jubiläum feiert. «Beim Spiel brauche ich dann mindestens zwanzig Minuten, bis ich wieder drin bin. Dann frage ich mich: Läck Bobby, hast du wirklich mal gespielt?»
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