CIO Circle: Philipp Merkt zu den Anlagemärkten 2023Finanzmärkte verharren im Sog der Zentralbanken
Die hartnäckig hohen Inflationsraten und die jüngsten Turbulenzen im Bankensystem bringen die Zentralbanken in ein ungemütliches Dilemma und sorgen für volatile Finanzmärkte. Eine leichte Rezession könnte Abhilfe schaffen und im zweiten Halbjahr wieder attraktivere Kaufgelegenheiten ermöglichen.

Das erste Quartal 2023 war für Anlegerinnen und Anleger bereits ein aufregendes Wechselbad der Gefühle. Die Finanzmärkte verzeichneten zunächst einen der stärksten Jahresauftakte der letzten Jahrzehnte. Die generelle Stimmungslage verbesserte sich, das Schlimmste schien überwunden zu sein. Dabei dominierte die Hoffnung, den Zentralbanken würde es nach anfänglichem Zögern gelingen, die Inflation doch noch in den Griff zu bekommen. Das Überwinden der Inflationshöhepunkte in den meisten Ländern schien dies zu bestätigen.
Die Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer gingen fortan von kleineren Zinsschritten aus. In den USA wurde gar eine Senkung des Leitzinses per Ende 2023 erwartet. Es machte den Anschein, als ob das von den Zentralbanken angestrebte «Softlanding» gelingen würde.
Inflation weicht nur langsam
Die Ernüchterung folgte jedoch schnell. Es zeigte sich, dass sich die Inflation nicht wie erhofft zeitnah abkühlt. Der Höhepunkt wurde zwar überschritten, die Inflationsraten verharrten jedoch weiterhin auf hohen Niveaus. In den USA beispielsweise lag die Inflationsrate im Februar mit 6% immer noch deutlich über dem langfristigen Ziel von 2%. Der weiterhin stabile Arbeitsmarkt und die konsumfreudigen Amerikanerinnen und Amerikaner lassen die Inflation nur langsam zurückgehen.
Die Konsumlust der US-Bevölkerung ist dabei der enormen Ersparnisbildung während der Covid-Pandemie geschuldet, die wesentlich durch einen immensen Fiskaltransfer der Regierung angeregt wurde. Europa hat sogar mit einer weiterhin steigenden Kerninflation zu kämpfen. Die Zinsschritte erscheinen bisher vor diesem Hintergrund fast wirkungslos, weshalb die Zentralbanken noch länger an einer straffen Geldpolitik festhalten dürften.
Zinsängste zurückgekehrt
Die Finanzmärkte reagierten auf diese Entwicklungen: Die Dynamik an den Aktienmärkten ging ab der zweiten Februarhälfte spürbar zurück. Ebenfalls verloren die Obligationenmärkte aufgrund der wieder gestiegenen Zinsen deutlich an Wert.
Auch wenn bei den Inflationsraten der Effekt der verschärften Zinspolitik auf sich warten lässt, so ist der Zinsanstieg nicht wirkungslos. Die in der Realwirtschaft zirkulierende Geldmenge ist im Vergleich zum Vorjahr um immerhin 2% gesunken, nach stark steigender Tendenz in den vergangenen Jahren.
Rezessionsgefahr steigt
Die rückläufige Geldmenge verstärkt die sich bereits leicht abschwächende Nachfragedynamik, die wiederum ihre Spuren in der Konjunktur hinterlässt. Unsere vorlaufenden Konjunkturindikatoren deuten weiterhin auf eine bevorstehende Rezession hin.
Die gestiegenen Zinsen haben ihre Wirkung aber besonders im Finanzsektor entfacht. Jüngst ging in den USA die Silicon Valley Bank (SVB) Konkurs. Das Zinsniveau war mit ein Grund dafür. Aufgrund eines Liquiditätsengpasses musste die SVB ihre festverzinslichen Anlagen mit einem deutlichen Abschlag verkaufen und geriet so in eine Überschuldung. Die Verunsicherung schwappte auch auf den schweizerischen Finanzplatz über und fand mit der Grossbank Credit Suisse ein prominentes Opfer.

Verletzlicher Finanzsektor
Diese Entwicklung zeigt deutlich, dass die systemischen Risiken im internationalen Finanzsystem zugenommen haben. Damit verstärkt sich der Druck auf die Zentralbanken, bei der Gestaltung der Geldpolitik die Finanzstabilität stärker zu berücksichtigen.
Dass damit jetzt zukünftige Zinsschritte zur Bekämpfung der Inflation vom Tisch sind, ist unwahrscheinlich. Dies hat sich in den letzten Zinsschrittentscheiden der US- und der Europäischen Zentralbank sowie der Schweizerischen Nationalbank gezeigt. Die Realzinsen, gemessen als Differenz zwischen dem langfristigen Kapitalmarktzins und der Kerninflation, befinden sich in den Industrienationen immer noch im negativen Bereich. Für eine erfolgreiche Inflationsbekämpfung wären jedoch positive Realzinsen erforderlich. Ein Finanzsystem kann zudem nicht auf Dauer in einem solchen Ungleichgewicht verharren, ohne die Finanzstabilität zu gefährden. Wie die Abbildung zeigt, gab es zuletzt in den 1970er-Jahren in den USA eine vergleichbare Situation. Das damalige Ungleichgewicht löste sich innerhalb von 13 Monaten dank stark steigender Zinsen und sinkender Inflation auf. Allerdings brachen in der Zwischenzeit sowohl die Konjunktur als auch die Aktienmärkte ein.
Besserung nicht vor dem zweiten Halbjahr
Das aktuelle Ungleichgewicht besteht nun seit bereits mehr als 24 Monaten. Eine leichte Rezession würde hier Abhilfe schaffen. Die Inflation dürfte sich in diesem Fall abkühlen und die Zinsdynamik nachlassen. Anzeichen einer solchen Entwicklung gibt es neuerdings genug: Die verschlechterte Stimmung im Konsum und in der produzierenden Industrie, das geldpolitische Umfeld sowie die schwache Dynamik auf dem Häusermarkt deuten bereits seit einiger Zeit auf eine Rezession hin.
Der Tiefpunkt der Marktentwicklung dürfte vor diesem Hintergrund noch nicht erreicht sein. Wir empfehlen daher unseren Kundinnen und Kunden eine defensive Ausrichtung ihrer Portfolios. Erst im zweiten Halbjahr erwarten wir wieder ein positiveres Umfeld an den Finanzmärkten.
Dieser Artikel ist der zweite in der Serie «CIO Circle». Weitere Artikel finden Sie hier.
Fehler gefunden?Jetzt melden.