Konjunktur DeutschlandGeschäftsklima in Deutschland trübt sich ein
Die deutsche Wirtschaft hat im laufenden Monat einen deutlichen Dämpfer erhalten. Gemäss Umfrage des Ifo-Instituts verschlechtert sich das Geschäftsklima deutlich stärker als erwartet.

Die Stimmung der deutschen Wirtschaft hat sich im Mai deutlich verschlechtert und lässt neue Konjunktursorgen aufkommen. Das Barometer für das Geschäftsklima fiel auf 91,7 Punkte, von revidiert 93,4 Zählern im April, wie das Münchner Ifo-Institut am Mittwoch zu seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte. Es war der erste Rückgang des an den Finanzmärkten stark beachteten Barometers nach sechs Anstiegen in Folge. Die Zinserhöhungsserie der EZB, die noch immer hohe Inflation und die maue Weltwirtschaft gelten aus Expertensicht als Stimmungsbremsen. «Die deutsche Wirtschaft blickt skeptisch auf den Sommer», so das Fazit von Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die erhoffte Frühjahrsbelebung droht den Münchner Forschern zufolge auszufallen, auch wenn die Bundesbank zumindest ein leichtes Wachstum im zweiten Quartal für wahrscheinlich hält. LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch sieht in dem überraschend schlecht ausgefallenen Ifo-Index allerdings ein böses Omen: «Das sieht weiterhin nach Rezession aus.»
Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einer leichten Eintrübung des Geschäftsklimas gerechnet. Zugleich wurden sie vom Einbruch der Erwartungen auf dem falschen Fuss erwischt: Dieser Teil des Barometers, der Auskunft über die Geschäftserwartungen für die nächsten sechs Monate gibt, sackte auf 88,6 Punkte von 91,7 Zählern im April ab. Der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, im zweiten Quartal dürfte es in Richtung einer Stagnation gehen. Schon im ersten Quartal hatte das Bruttoinlandsprodukt von Europas grösster Volkswirtschaft stagniert, nachdem es Ende 2022 sogar um 0,5% geschrumpft war.
Inflation schadet
Die Bundesbank ist mit Blick auf die Konjunkturentwicklung weniger skeptisch als das Ifo: Nachlassende Lieferengpässe, hohe Auftragspolster und die gesunkenen Energiepreise dürften aus ihrer Sicht für eine Erholung in der Industrie sorgen. «Dies dürfte auch die Exporte stützen, zumal die globale Konjunktur wieder etwas Tritt gefasst hat», heisst es im Monatsbericht der Bundesbank. Die zuletzt kräftigen Lohnerhöhungen sollten zudem die Kaufkraft der privaten Haushalte stützen: «Der private Konsum dürfte daher in etwa stagnieren.» Zuletzt hatten die Verbraucher wegen anhaltender Kaufkraftverluste infolge der hohen Inflation weniger konsumiert. In vielen Branchen wurden aber mittlerweile kräftige Lohnerhöhungen vereinbart.
Die schädlichen Auswirkungen der hohen Inflation, die Deutsche Bank-Chef Christian Sewing als «Gift» bezeichnet, treiben auch die Europäische Zentralbank um. Laut EZB-Chefin Christine Lagarde wird durch den hohen Preisdruck der Wert des Geldes gemindert und die Kaufkraft verringert. Dies treffe Menschen sowie Unternehmen im gesamten Euroraum: «Ganz besonders die Schwächsten in unserer Gesellschaft». Zugleich signalisierte die Französin, dass die Zinserhöhungsserie der Notenbank noch nicht am Ende ist. Diese werde die Inflation zum Ziel von mittelfristig 2,0% zurückführen: «Aus diesem Grund haben wir die Zinssätze in Rekordzeit erhöht, werden sie auf ein ausreichend restriktives Niveau anheben und dort so lange wie notwendig belassen.»
Die EZB hat seit der Zinswende im Juli 2022 die Schlüsselzinsen bereits sieben Mal in rasanter Folge um insgesamt 3,75 Prozentpunkte angehoben. Auf der nächsten Zinssitzung am 15. Juni könnte sie nach Einschätzung der von Reuters befragten Volkswirte nachlegen. Einen Grund für die erwartete Konjunkturflaute sieht Ifo-Experte Wohlrabe in den Zinserhöhungen, mit denen die EZB und die Notenbanken weltweit auf die höhere Inflation reagieren.
Zinserhöhung als Dämpfer
«Die Zinserhöhungen scheinen die Nachfrage zu dämpfen», sagte Wohlrabe mit Blick auf die gestiegenen Zinskosten. So seien etwa die Exporterwartungen in der deutschen Industrie gesunken. «Sie hat wohl deutlich weniger Neuaufträge erhalten», sagte der Ifo-Experte. «Die Nachfrage wird zum Problem.» Auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht in der weltweiten Zinswende einen gewichtigen Grund für die gekippte Stimmung in den deutschen Chefetagen. Denn diese Wende bremse erfahrungsgemäss die Weltkonjunktur und damit das Geschäft der exportorientierten deutschen Wirtschaft: «Für Deutschland lässt sich für die zurückliegenden fünfzig Jahre sogar zeigen, dass Leitzinserhöhungen stets in Rezessionen mündeten, wobei von der ersten Zinserhöhung bis zum Beginn der Rezession im Durchschnitt fünf Quartale vergehen.»
Ökonomen zum deutlichen Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas
Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment:
«Die Nachfrage in der Industrie liegt teils deutlich unter dem Produktionsvolumen, und die Unternehmen bauen im Wesentlichen ihre Auftragsbestände ab. Die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank entfaltet zudem immer mehr Bremswirkung. Die Folgen der strafferen Finanzierungsbedingungen sind etwa im Wohnungsbau, beim Konsum langlebiger Güter und bei der nachlassenden Investitionstätigkeit der Unternehmen sichtbar. Der deutschen Wirtschaft wird es schwerfallen, in den kommenden Quartalen viel Schwung zu gewinnen.»
Jens-Oliver Niklasch, LBBW:
«Ein weiteres Schwächesignal. Das sieht weiterhin nach Rezession aus. Schon die Konjunkturdaten im März waren besorgniserregend. Die Abschwächung scheint sich fortzusetzen. Einerseits entfalten die höheren Zinsen ihre Wirkungen, dann belastet die Teuerungswelle inklusive Lohnentwicklung der letzten Quartale. Sonstige Faktoren wie die Konjunktur in China oder in den USA sprechen ebenfalls gegen die hiesige Wirtschaft. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung spendet auch wenig Hoffnung. Das zweite Quartal dürfte vermutlich eine nachlassende Wirtschaftsleistung verzeichnen.»
Fritzi Köhler-Geib, KFW-Chefvolkswirtin:
«Deutschland ist zurzeit gegenläufigen Konjunktureinflüssen ausgesetzt. Der positive Effekt nachlassender Lieferkettenstörungen und wieder deutlich niedrigerer Grosshandelspreise an den Energiemärkten fällt weniger ins Gewicht als die Belastung durch die verlorene Kaufkraft und den geldpolitische Restriktionskurs. Unter dem Strich trübt sich die Stimmung in den Unternehmen im Mai ein und beendet so die Serie von sechs Anstiegen des Geschäftsklimas in Folge. Die Aussichten für das Wirtschaftswachstum im weiteren Jahresverlauf bleiben verhalten.»
Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt:
«Der deutliche Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas ist kein Ausreisser. Denn andere wichtige Frühindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex für die Industrie oder die Auftragseingänge weisen bereits seit längerem klar nach unten. Alles in allem sind die Konjunkturrisiken in den zurückliegenden Monaten deutlich gestiegen. Ich halte eine technische Rezession in der zweiten Jahreshälfte für wahrscheinlicher als eine konjunkturelle Erholung, die die meisten Volkswirte noch immer erwarten.»
Andreas Scheuelre, Dekabank:
«Schon das erste Quartal brachte der deutschen Volkswirtschaft eine Stagnation, für das zweite Quartal droht gar eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts. Zu den bekannten Belastungen infolge der Kaufkraftvernichtung treten zunehmend die Folgen der Bekämpfung der Inflation. Die Geldpolitik tritt nicht nur hierzulande auf die Bremse. Der rasante globale Zinsanstieg lastet auch auf der Konjunktur wichtiger Handelspartnerländer und damit auf der deutschen Exportwirtschaft.»
Bastian Hepperle, Hauck Aufhäuser Lampe:
«Mit Blick auf die Stimmungslage in der deutschen Wirtschaft macht der Wonnemonat Mai seinem Namen keine Ehre. Der seit Herbst 2022 aufwärtsgerichtete Trend beim ifo-Index hat einen ersten kräftigen Dämpfer bekommen. Gründe für die Stimmungseintrübung gibt es genug: enttäuschende Konjunkturdaten, weiterhin hohe Inflationsraten und die restriktive Geldpolitik. Zudem schwächt sich in China und den USA das Wachstumsmomentum ab. An wirtschaftliche Dynamik ist somit nicht zu denken, der Ausblick bleibt getrübt.»
REUTERS
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