Kaffee mit Simone Meier«Ich habe immer das Gegenteil gemacht von dem, was mir gesagt wurde»
Frühere Kollegen versuchten Simone Meier zu mobben. Sie ist ihrem unkonventionellen Schreibstil treu geblieben und hat dafür schon mehrere Preise gewonnen.

Als Meier das Café Lang betritt, horcht der mürrische Tischnachbar auf wie ein Maulwurf, der zum ersten Mal frische Luft schnappt. Sie strahlt, ihre Augen und ihr Pullover hellblaue Farbtupfer in der grauen Landschaft des Zürcher Januarmorgens.
Meier ist in der Stadt zu Hause, obwohl sie auf dem «Land-Land» aufgewachsen ist. So ländlich, dass sie es doppelt betont. In Städten fühlt sie sich sicher, liebt Berlin, Paris, London. Spontan ausreisen würde sie nach Bangkok, in die Hauptstadt des Landes, das ihre Lieblingsküche serviert. Thai Ice Tea gibt’s im Lang nicht, sie bestellt einen Ingwertee.
Es ist das zweite Mal, dass wir uns live sehen. Meier schrieb vor ein paar Jahren über ein Projekt, an dem ich arbeitete, und schaffte es, mich im selben Text auseinanderzunehmen und «eine Waffe» zu nennen.
Denn Meiers Worte haben Macht. Wegen ihrer Kritik standen Theaterstücke schon vor der Pleite. «Natürlich tat mir das leid», sagt sie, die wohlmeinende Mama der Kultur, «ich wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen, ich wollte, dass sie besser werden.» Als One-Woman-Show ihres Ressorts für das Newsportal «Watson» hat sie schon zwei Mal den Schweizer-Journalist:innen-Preis in der Kategorie Kultur gewonnen, dazu einmal in der Kategorie Kolumne und einen Prix Pathé für Filmkritik.
In der Zeit, die neben ihrem «Watson»-Pensum übrig bleibt, schreibt die Autorin Romane. Ihr neustes Buch soll 2024 erscheinen und «weltbekannte Kunst, eine tragische Liebesgeschichte, eine unsichere Frau, die unfassbar viel schafft, und etwas Gothic» enthalten. Wer sich darunter wenig vorstellen kann, soll vertrauen: Mit ihrem Roman «Reiz» (2021) stieg sie in die Schweizer Bestsellerliste ein.
Gleichzeitig ist das Beherrschen der deutschen Sprache die Hürde ihres grossen Traums. Meier würde gerne genauso gut auf Englisch schreiben, um das breitere angelsächsische Publikum zu erreichen. «Die meisten Journalisten sind Narzissten», sagt sie, «man muss sich immer wieder aufs Neue exponieren wollen.»
Ich traue mich nicht zu fragen, ob Meier auch sich als Narzisstin sieht, ihre Selbstwahrnehmung würde aber dagegensprechen. Sie sagt nämlich – und dies ist ein Zitat –, sie sei «total langweilig». Reflexartig will ich gegenargumentieren, bis ich anhand der Ausführung merke, dass Meiers Gabe, sich selbst in den Hintergrund zu stellen, ihre Geheimwaffe ist. Genauer gesagt ist ihre Trumpfkarte beim Schreiben etwas, was weit vor dem Schreiben selbst passiert: das Beobachten. Im Chaos schaut sie zu, im Gebrüll horcht sie auf. Die Welt sieht sie durch die Scheibe einer Schriftstellerin, die ständig auf Geschichtensuche ist. Die berufliche Linse lässt sie nur im vertrautesten Kreis los.
Fasziniert ein Sujet sie, folgen die Gefühle. Oder besser, welche Gefühle etwas bei den Lesern auslösen wird. So wusste sie, dass die Schilderung ihres desaströsen Interviews mit dem britischem Schauspieler Hugh Grant Mitleid und Fremdscham erwecken würde. Bis heute sind die sechs Minuten mit dem grantigen Grant das schlimmste Interview ihrer Karriere, «aber ich wusste, als Geschichte war es Gold wert». So spann sie ganz Grimm’schig aus dem Journi-Albtraum Gold und erhielt etliche Rückmeldungen von Menschen, die privat das sagten, was Meier laut schrieb: Ui, bei mir war der genauso! Positives Feedback beflügelt Meier, sie bekommt viel davon. Doch nur Honig ums Maul gibt’s nicht.
Harte Kritiken schmerzen manchmal schon, sie überwindet sie aber, indem sie «einfach ihr Ding macht» und negatives Gedröhne so gut wie möglich meidet. Wie Jolanda Spiess-Hegglin und Patrizia Laeri sich wehren, bewundert Meier, sagt aber, sie hätte dafür die Ausdauer nicht.
Wo sie ausharrt, ist in ihrer Überzeugung, dass mehr zum Kulturjournalismus gehört als oft gedacht. So schubste sie ihr Gebiet weg von der Einbahnstrasse der Hochkultur, schrieb beim «Tages-Anzeiger» Kolumnen über Reality Stars wie Daniela Katzenberger. Ja, so was gehört zu unserer Kultur. Das, was sich Millionen von Menschen täglich reinziehen.
«Ich habe immer das Gegenteil gemacht von dem, was mir gesagt wurde», erklärt Meier. Dazu gehörten Schreiben aus der Ich-Perspektive und Emotionalität. Kollegen beim «Tagi» fanden das gar nicht gut, fühlten sich von Meiers unkonventionellem Erfolg bedroht. Sie versuchten, sie rauszumobben. Glücklicherweise versandeten die Schikanen in der Wüste der Feigheit, wo sie hingehören – die Chefredaktion stand stets hinter ihr.
Überhaupt ist das Finden der richtigen Unterstützung eines von Meiers Erfolgsrezepten. Mit 25 Jahren wohnte sie in Basel neben Reinhardt Stumm, dem Feuilleton-Chef der «Basler Zeitung». Richtig «old school» legte Meier also einen Zettel in Stumms Briefkasten, in dem sie darum bat, von ihm zu lernen. Am selben Abend gab Stumm ihr fiktive Aufträge für vier Kolumnen, Deadline übermorgen.
Dann musste sie, vor Stumms Augen, an seinem Computer die Texte verbessern. Es war «unvorstellbar unangenehm», aber nach einigen solchen Sitzungen habe sie gelernt, Kolumnen zu schreiben. Sobald ihre Texte in der BaZ publiziert wurden, bot sie der WoZ (in deren Korrektorat sie damals arbeitete) an, bei Ausfällen in der Kulturredaktion einzuspringen. Dann sprang sie ein. The rest is history.
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