Es war im März, als eine Grossbank zu stürzen drohte und von einer Konkurrentin mit Sitz in derselben Stadt zum Spottpreis unter staatlichem Druck und mit einem mächtigen Kredit der Nationalbank in einer Notaktion übernommen werden musste. Nein, die Rede ist hier nicht von Credit Suisse, die sich nach dramatischem Vertrauens- und Kundengeldverlust vor einer Woche für ein Butterbrot von unter 1 Fr. pro Aktie an UBS verschachern musste – staatliche Garantien unterlegt mit 109 Mrd. Fr. Steuergeld inklusive.
Nein, die Rede ist von Bear Stearns. Eine der grössten US-Investmentbanken musste sich im März vor fünfzehn Jahren am Vorabend der globalen Finanzkrise in die Arme von Stadtrivalin JPMorgan werfen – Riesenkredit der US-Notenbank Fed inklusive. Zumindest brachte JPMorgan für Bear Stearns noch ganze 10 $ pro Aktie auf. Die Geschichte – so sagte einst der legendäre Autor Mark Twain – wiederholt sich nie, aber sie reimt sich oft.
Lehren aus der Finanzkrise
Die Zeiten sind heute zwar andere. Die Grossbanken leiden nicht, wie damals, unter toxischen Vermögenswerten. Mit Ausnahme von CS erwischt es heuer in den USA nur eine Handvoll mittelgrosser Regionalbanken, die zu riskant geschäftet haben und denen Kunden deshalb Vertrauen und Geld entzogen haben. Der altbekannte Sturm auf die Einlagen (Bank Run) ist das Ur-Risiko jeder Bank.
Dagegen hilft auch keine noch so scharfe Regulierung, sondern nur blindes Kundenvertrauen. Denn weniges ist so undurchsichtig wie eine milliarden- oder gar billionenschwere Bankbilanz. Oder warum wohl fordert UBS zur schier geschenkten CS noch eine fabelhafte staatliche Verlustgarantie obendrauf?
Hohe staatliche Garantien und gewaltige Notfallliquidität in der Schweiz und den USA sind jedenfalls Lehren aus der internationalen Finanzkrise vor fünfzehn Jahren. Ein Mangel an Vertrauen kann sich – angefangen bei den Schwächsten des Rudels – schnell durch das ganze Bankensystem fressen und am Ende selbst gesunde Geldhäuser infizieren. Besser zu viel zu früh als zu wenig zu spät unternehmen, scheint deshalb heute die staatliche Devise zu sein. US-Finanzministerin Janet Yellen doppelte diese Woche nach und sagte, sie sei bereit, bei weiteren Unruhen erneut in die Bresche zu springen.
Die grosse Kelle scheint vorerst Wirkung zu entfalten. Nach zwei Wochen, die Ereignisse für ganze Monate enthielten, scheint relative Ruhe in der Bankbranche eingekehrt zu sein. Laut Fed-Chef Jerome Powell haben sich die Kundengeldflüsse zwischen den US-Banken fürs Erste normalisiert. So konnten Fed und Schweizerische Nationalbank (SNB) ihre Zinserhöhungen diese Woche fortsetzen.
Der Reim der Geschichte
Doch genau hier sind wir beim grundlegenden Reim der Geschichte. Damals wie heute hebt das Fed unaufhörlich die Zinsen an, im Kampf gegen eine hohe Inflation. Die hat der Staat wie so oft auch dieses Mal selbst geschaffen, pumpte er doch während der Pandemie nie dagewesenen Summen an Staatsschulden als Covid-Hilfsgelder in die Wirtschaft und befeuerte damit einen Nachfrageüberhang, der bis zu diesem Tage anhält.
Zugleich unterbrach er durch Lockdowns und weitreichende Pandemiemassnahmen internationale Lieferketten – alles zur Erhaltung der Volksgesundheit. Hohe Nachfrage und unterdrücktes Angebot, beides staatlich induziert, führten zu einer mächtigen Rückkehr der Inflation.
In der Rückschau hielten die Nationalbanken die Leitzinsen zudem viel zu lange nahe null – im Fall der SNB sogar im negativen Bereich –, was zu einer Blase am Aktienmarkt führte. Einschränkend muss erwähnt werden, dass dank des Sonderstatus des Frankens die Inflation in der Schweiz, wie fast alle Probleme, viel milder daherkommt als in fast allen anderen Ländern. Tu Helvetia felix.
In Amerika hingegen überlässt der Staat es fast ausschliesslich dem Fed, das Inflationsschlamassel zu beseitigen. Zwar hat Präsident Joe Biden als Minimalübung die strategischen Ölreserven geöffnet, um die durch den Ukrainekrieg kurzfristig erhöhten Benzinpreise zu dämpfen, doch statt der hartnäckigen Inflation im Dienstleistungssektor, die die derzeitige Teuerung zum grössten Teil treibt, beizukommen, streikt Washington.
Steuern werden nicht erhöht, um den Überschuss an Covid-Geldern abzuschöpfen. Die Zuwanderung wird nicht reformiert, um dem Dienstleistungssektor dringend benötigte Arbeitskräfte zuzuführen. Nicht mal für Inländer wird ein vernünftiges staatliches Kinderbetreuungsangebot geschaffen, das dazu führen würde, dass mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt zurückkommen könnten.
Politik lässt Notenbank allein
Während der Kongress und die Regierung gezielte Massnahmen verweigern, bleibt dem Fed nur, die Zinsen anzuheben. Zinspolitik ist aber eben kein Skalpell, es ist ein Breitschwert, das Preise und Renditen fast aller Vermögenswerte trifft, wodurch potenziell alle in Turbulenzen gestürzt werden können.
Für eine Umkehr ist es längst zu spät. Fed-Chef Powell befindet sich in der Endphase seines historisch aggressiven Zinserhöhungszyklus, der nur durch den Husarenritt von Vorgänger Paul Volcker in den Achtzigern übertroffen wird. Damals gingen über tausend US-Sparkassen pleite. Ende des damaligen Jahrzehnts hob die SNB ihren Leitzins abrupt an, sodass sie eine Immobilienkrise auslöste, in der jede dritte Schweizer Bank verschwand.
Dabei kann Zinspolitik ihre volle Wirkung mit ziemlicher Verzögerung, erst nach Monaten, entfalten. Im Sommer vor fünfzehn Jahren war die US-Notenbank bereits seit einem Jahr wieder daran, den Leitzins zu senken, nachdem sie ihn zuvor rund zwölf Monate auf 5,25% gehalten hatte. Dann verriss es den US-Immobilienmarkt, nach Bear Stearns stürzte Lehman, und die Inflation, die kurz davor noch über 5% stand, sank unter die Nulllinie. Die Teuerung war kein Problem mehr, dafür war es eine Finanzkrise.
Heute könnte der Sturz von Credit Suisse wie einst der von Bear Stearns nur der Anfang gewesen sein. Bereits vor dem Bankenzittern sandte der amerikanische Arbeitsmarkt via Frühindikatoren erste Signale der Schwäche aus. Mindestens eine Rezession der US-Wirtschaft, die das Ergebnis noch fast jedes Zinserhöhungszyklus war, gilt für dieses Jahr als so gut wie ausgemacht.
Experten warnen bereits vor mehr Unternehmenspleiten wegen der erhöhten Zinslast und vor überbewerteten Geschäftsimmobilien in den Bankbüchern. Da bleibt nur zu hoffen, dass sich die Geschichte nur reimt und nicht tatsächlich wiederholt. Aber selbst dann wird der Staat sicherlich mit aller Macht zur Hilfe eilen – bereit, die von ihm verursachten Probleme durch neue zu ersetzen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Meinung – Inflation und Bankenkrise – der Staat trägt Schuld
Die Zentralbanken, allen voran das amerikanische Fed, versuchen, mit aggressiven Zinserhöhungen von den Staaten geschaffene Probleme zu lösen, und verursachen damit doch nur wieder neue.