Amerikas Politiker würden anders reagieren. Hätte dort die zweitgrösste Bank des Landes – wie Credit Suisse gerade in der Schweiz – einen Rettungskredit von 50 Mrd. Fr. von der Nationalbank bekommen, würde jetzt Folgendes passieren: CS-Präsident Axel Lehmann und CEO Ulrich Körner würden nächsten Tages vor die Finanzkommission des Parlaments zitiert, um öffentlich ihre verbale Steinigung zu empfangen. Und weil sie die Misere ihrer Bank zum grössten Teil geerbt haben, würde man gleich noch Thomas Gottstein, Tidjane Thiam, Brady Dougan und allen voran Urs Rohner herankarren.
Alles Männer, unter deren Führung diese Bank in über zehn Jahren schleichend zugrunde gegangen ist. Männer, die ihr eigenes Portemonnaie maximiert haben, während dasjenige der Aktionäre ausradiert wurde. Zur Erinnerung: Seit April 2007 haben die CS-Aktien 97% an Wert verloren. An diesen Herren, unter denen es zum Sturz des Hauses Escher kam, würden die US-Volksvertreter genüsslich ihre erhitzten Gemüter kühlen. Katharsis coram publico – made in America.
Doch Bern ist nicht Washington. Die Session ist diese Woche zu Ende gegangen, kein Parlamentarier wollte spontan eine Aussprache zum Fall CS traktandieren, und selbst der Bundesrat wollte sich nach seiner CS-Sondersitzung am Donnerstag nicht äussern. Auf Nachfrage klangen die Wortmeldungen der Volksvertreter in der bundeshäuslichen Wandelhalle – obgleich es ein Wahljahr ist – pflichtschuldig gezwungen. Das hat zwei Gründe.
Sei umschlungen, Too big to fail
Zum einen hält eine grosse Mehrheit eine weitere Regulierung des Bankenplatzes schlicht nicht für notwendig. Parlament, Regierung und Behörden mussten akzeptieren, dass grosse und selbst mittelgrosse Banken, wenn sie stürzen, vom Staat aufgefangen werden müssen. Die für Bund und Kantone grossen Banken UBS, CS, Raiffeisen, PostFinance, Zürcher KB und die anderen Kantonalbanken besitzen heute alle eine explizite oder eine implizite Staatsgarantie. Selbst eine Valiant könnte vom Kanton Bern nicht einfach fallen gelassen werden, ohne dass er grossen Schaden für die regionale Wirtschaft riskierte.
«Erst wenn der Franken eine wirkliche Krise erfahren würde, liesse es sich von einer wirklichen Krise des Schweizer Finanzplatzes sprechen.»
Um dieses altbekannte Too-big-to-fail-Problem wegzuregulieren, müsste die Politik schon das Geschäftsmodell der Schweizer Banken stark verändern und zurückbinden. Dadurch würde aber die Wirtschaft langfristig uverhältnismässigen Schaden nehmen, weil sie sich nicht mehr ihrem Potenzial gemäss entfalten könnte. So hat Bern zur Eindämmung des Problems Sicherheitsvorkehrungen und Drehbücher für den Ernstfall entwickelt. Heute beeilen sich die Institutionen zu handeln, ehe es zu spät ist. In Amerika hat die Notenbank nach der Pleite der Silicon Valley Bank weitreichende Notmassnahmen beschlossen, die sie für alle Banken geöffnet hat, um ein Übergreifen der Misere auf die Branche im Keim zu ersticken. In der Schweiz zeigt sich die erhöhte Sensibilität durch den unerhörten SNB-Kredit für CS, bevor es für die Bank fünf nach zwölf geschlagen hätte. Die Schockwellen, die von Amerikas Regionalbanken auf die Schweizer Banken überschwappen, zeigen zudem, dass die hiesigen Geldhäuser gerade wegen der strengen Kapital- und Liquiditätsregeln aus den vergangenen Jahren heute gesünder, risikoärmer und widerstandsfähiger dastehen.
Auch ein Fall CS ändert deshalb nichts daran, dass der Schweizer Finanzplatz heute so viel Vermögen verwaltet wie kein anderer auf der Welt und das auch weiter tun wird. Das hängt übrigens nicht an der Weisheit unserer Banker und längst nicht mehr am Bankgeheimnis, das gegenüber dem Ausland tot ist.
Es drohte das Ausbluten
Das grosse, offene Geheimnis des Erfolgs ist der Franken. Nach dem Ersten Weltkrieg warfen fast alle Notenbanken Europas die Gelddruckmaschine an, um Reparationszahlungen sowie den Wiederaufbau zu finanzieren. Die SNB dagegen hielt den Franken relativ stabil. Die Schweiz hatte im Krieg abseitsgestanden, und die kriegführenden Nachbarn respektierten ihre Neutralität. So schwappte die Hyperinflation des Kontinents kaum auf die Schweiz über. Das Spiel wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg. Der Mythos des Frankens als Fluchtwährung und sicherer Hafen war geboren und ist bis heute ungebrochen. In den vergangenen hundert Jahren ist der Franken die einzige Währung des Planeten, die wertstabiler ist als Gold. So kann kaum ein wohlhabender Mensch dieser Welt auf den «Alpendollar» im Portfolio verzichten, und der Zugang zur Währung Helvetias führt nun mal vor allem über ihre Banken.
Erst wenn der Franken eine wirkliche Krise erfahren würde, liesse es sich von einer wirklichen Krise des Schweizer Finanzplatzes sprechen. Vielleicht kommt der Tag dereinst, doch nicht heute. In Bern weisst jeder: Die derzeitige Krise betrifft ganz allein CS. Das ist der zweite Grund, warum – anders als zu Zeiten der UBS-Rettung – ums Bundeshaus heute auffällige Stille herrscht. Denn das Kernproblem von CS ist nicht die Liquidität oder vermeintlich toxische Assets. Ihre Misere lässt sich eben nicht mit Parlamentsbeschlüssen wegregulieren, weil sie im Zwischenmenschlichen liegt. Normalerweise sind die Schweizer treue Seelen – vor allem gegenüber ihrer Hausbank. Kaum eine Beziehung hält länger im Leben der Bürger zwischen Genfer- und Bodensee – nicht die zum Arzt, nicht die zum Coiffeur, nicht die zu vielen Ehepartnern.
Wenn darum die Kunden im Schweizer Geschäft von CS letztes Jahr 51 Mrd. Fr. oder 28% der kompletten Einlagen abgezogen haben, dann ist hier für viele Eidgenossen eine Urbeziehung auf schockierende Art kaputtgegangen. In dieser Situation fiel dann dem grössten CS-Aktionär Saudi Arabia Bank nichts Besseres ein, als mitzuteilen, kein weiteres Kapital mehr geben zu wollen. Der Markt urteilte auf die Nachrichten mit einem historischen Aktienkurseinbruch, internationale Banken dämmen ihre Kontakte zu CS ein, und ausländische Behörden untersuchen die Ansteckungsgefahr für ihre Systeme. CS drohte zur Aussätzigen des globalen Banking zu werden und gottverlassen auszubluten. In so einer Situation konnte nur der Staat einspringen, und die SNB musste als sprichwörtliche Kreditgeberin der letzten Instanz auftreten.
Credit Suisse absorbieren
Doch anders als Kapital kann die SNB Vertrauen nicht einfach per Knopfdruck in CS einschiessen. Vertrauen muss durchs Management geschaffen und täglich neu verdient werden. Aber die Bankleitungen der vergangenen mehr als zehn Jahre haben das Vertrauen von Markt, Kunden und Politik durch Pleiten, Pech, Pannen, Eskapaden und Skandale gründlich aus dem Institut herausgemanagt. Selbst tief im bürgerlichen Lager in Bern hat man darum mit CS abgeschlossen, und zwar mit ruhigem Gewissen, denn jeder weiss, der Finanzplatz ist heute derart stark, dass er eine CS absorbieren könnte. Und vielleicht ist das schon bald nötig.
Wenn nämlich der Abfluss an Kundengeldern nicht in nützlicher Frist gestoppt wird, dann wird CS zum ewigen Intensivpatienten, der nur noch durch den Tropf der SNB am Leben gehalten wird. Um Arbeitsplätze und Vermögenswerte zu retten, müssen Bankenplatz und Bundeshaus vielleicht alsbald erneut ihre neue Sensibilität walten lassen. En bloc wird diese Bank niemand kaufen wollen. UBS wehrt sich bereits mit Händen und Füssen dagegen, als Auffangbecken herhalten zu müssen. Am Ende könnte also nur die Zerschlagung helfen. Die ist schon im Gange: Die Investmentbank – Hort der Skandale und der Unterperformance – soll bald abgespalten werden und unter Reaktivierung des alten Wallstreet-Namens First Boston eigenständig weiterfirmieren.
Im Private Banking von CS könnten die verwalteten Vermögen, nach Regionen und Kundenklassen aufgeteilt, an den jeweils meistbietenden Konkurrenten verkauft werden. Die Schweizer Retail- und Firmenkundenbank könnte unter neuer Führung an die Börse gehen. Doch auch hier braucht es einen neuen Namen, die Marke CS ist verbrannt. Wie wäre es mit einem, der an alte Zeiten anknüpft? Nein, nicht Kreditanstalt. Wie wäre es – zu Ehren des Gründervaters – mit: Bank Escher?
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Meinung – Keine neuen Regeln für die Banken
Nachdem Credit Suisse einen staatlichen Rettungsring von 50 Mrd. Fr. ergriffen hat, herrscht in Bern ungewöhnliche Stille. Zwei Gründe, weshalb eine grosse Mehrheit keine Lust auf neue Regulierung der Schweizer Geldhäuser hat.