Der DerivatusLeerverkäufer im Visier
Ein relativer Leerverkauf in Indien und ungeliebte Credit Warrants in der Schweiz.

Leerverkäufer sind umstritten. Sie weisen auf Schwachstellen hin, was für alle Marktteilnehmer gut ist – ich erfahre lieber frühzeitig, wenn etwas im Argen liegt. Und sie profitieren, wenn es schlecht läuft und die Kurse fallen, was anmutet wie Schadenfreude. Kontrovers beurteilt werden auch die Leerverkäufer von Hindenburg Research. Die New Yorker liessen Ende Januar verlauten, sie setzten auf fallende Kurse von Wertpapieren der indischen Adani-Gruppe. Dazu kam der Vorwurf des «grössten Betrugs in der Unternehmensgeschichte». Adani habe Bilanzen gefälscht, Steuern hinterzogen und Aktienkurse manipuliert. Der Börsenwert der Gruppe brach um 100 Mrd. $ ein.
Ein solcher Leerverkauf ist einfacher gesagt als getan, und Hindenburg gibt dazu nichts preis. In Indien ist ein ungedeckter Leerverkauf (Naked Short) verboten. Man darf nur dann auf fallende Kurse setzen, wenn man die entsprechenden Wertpapiere besitzt und absichert – ein gedeckter Leerverkauf.
Die Vorschriften für den Wertpapierhandel in Indien seien äusserst kompliziert, «byzantinisch», sagte ein Hedge-Funds-Vertreter gegenüber der «Financial Times». Womöglich habe Hindenburg eine Art Single Stock Futures konstruiert. Solche Kontrakte werden seit gut zwanzig Jahren an Terminbörsen gehandelt und beziehen sich auf eine einzelne Aktie. Für Adani gibt es jedoch keinen, ein solches Derivat müsste ausserbörslich vereinbart werden. Ob sich eine Gegenpartei findet, die sich damit konträr zu Hindenburg positioniert, ist fraglich.
Futures gibt es auf den indischen Nifty Fifty Index, doch damit ergibt sich kein gezielter Leerverkauf. Um einen solchen zu erreichen, könnte man im Nifty Fifty eine Verkaufsposition eingehen und gleichzeitig alle 48 Aktien – ausser die beiden Titel Adani Enterprises und Adani Ports – kaufen. Das ergibt eine synthetische Short-Position, einen relativen Leerverkauf.
Eine Alternative ist, auf fallende Anleihen zu setzen, die in den USA gehandelt werden. Schuldner sind etwa Adani Green Energy und Adani Ports. Praktisch wären Kreditversicherungen (Credit Default Swaps, CDS), mit denen sich Gläubiger gegen schwindende Bonität und Zahlungsausfall von Schuldnern schützen. Auf Adani werden aber keine CDS gehandelt. Vermutlich haben die Hindenburger sämtliche Naked Shorts installiert, die sie finden konnten.
Einen schlechten Ruf hat der Leerverkauf nicht nur in Indien. Ich erinnere mich an Credit Warrants, die hierzulande 2010 lanciert worden sind. Diese börsengehandelten Optionsscheine gewähren Anlegern Zugang zu CDS. Emittiert wurden damals Credit Warrants auf Staatsanleihen europäischer Peripherieländer. Damit schützten sich Obligationenanleger vor einer Ausweitung der Euroschuldenkrise.
Auf den Zerfall des Euros zu wetten, geriet aber in Verruf, Politiker in Europa sahen Spekulanten als Sündenbock und liefen Sturm. Die Emittenten reagierten und zogen Credit Warrants auf Länder-CDS aus dem Verkehr. Ursache war das Reputationsrisiko – wegen des schlechten Rufs der Leerverkäufer.
Fehler gefunden?Jetzt melden.