«Das Wissen, dass der Staat bei systemrelevanten Unternehmen in der Regel rettend einspringt, kann die obersten Führungsorgane zu einem wirtschaftlichen Fehlverhalten animieren» – so begründete der damalige Nationalrat Johann Schneider-Ammann eine parlamentarische Initiative, die er Ende 2008 einreichte. Damit beschrieb der spätere Bundesrat exakt die Problematik des Moral Hazard.
Hierbei geht es weniger um Moral und Unmoral, also um Ethik, sondern um Anreize und Fehlanreize, also um Ökonomie. Der Begriff stammt aus dem britischen (Feuer-)Versicherungswesen des 19. Jahrhunderts, und er besagt, dass Versicherungsnehmer versucht sein können, im Umgang mit den Risiken fahrlässig zu werden – schliesslich zahlen sie Prämien.
Zu Vorsicht ermuntern
Nun ist das Schweizer Volk nolens volens abermals in die Rolle des Versicherers geraten, zugunsten von Credit Suisse bzw. UBS. Die Grossbanken sind systemrelevant, daher geniessen sie eine implizite Staatsgarantie. Im Rahmen der CS-Transaktion spricht der Bund Garantien für UBS bzw. für die Nationalbank; wir alle stehen damit im Risiko.
Schneider-Ammann, seinerzeit noch Chef eines Familienunternehmens im Maschinenbau, schrieb seinen Vorstoss unter dem Eindruck des Falls UBS (der Retter von heute war der Gerettete von damals). Er verlangte, die Bundesgesetzgebung sei so anzupassen, «dass im Falle einer staatlichen Rettungsmassnahme zugunsten eines systemrelevanten Unternehmens die obersten strategischen und operativen Führungsorgane, welche die Ursache des staatlichen Eingreifens mitverantworten, persönlich und solidarisch für den daraus der Allgemeinheit entstehenden Schaden haften».
«Asymmetrische Anreizstrukturen führen dazu, dass Personen risikobehaftete Entscheide treffen, ohne selbst dafür zu haften.»
Nun mag das auf den aktuellen Fall nicht exakt passen, denn der Allgemeinheit ist bisher kein pekuniärer Schaden entstanden. Der Ruf des Finanzplatzes Schweiz und des Landes überhaupt ist durch die jahrelange Irrläuferei der CS-Chefteams – überbezahlt, unterbegabt – jedoch erheblich geschädigt worden. Ob frühere und besonders das aktuelle Management von CS überhaupt haftbar in Schneider-Ammanns Sinn wären, ist ungewiss.
Doch, und das ist des Pudels Kern, die CS-Führungsequipen wären womöglich gar nicht erst in diese Bredouille geraten. Sie hätten sich zuvor wahrscheinlich anders, umsichtiger verhalten: Im Wissen, nach einem Kladderadatsch dort gepackt zu werden, wo’s am meisten wehtut, am Portemonnaie, dürfte eine Unternehmensleitung strategische und operative Entscheide risikobewusster fassen.
Spezialrechtliche Kollektivgesellschaft
Schneider-Ammann schwebte damals vor, für unverzichtbare Unternehmen – in Bereichen wie eben Finanzdienstleistung, Transport, Energie, Kommunikation usf. –vorzusehen, dass Verwaltungsrat und Geschäftsleitung eine spezialrechtliche Kollektivgesellschaft bilden und – müsste der Staat eingreifen – eben persönlich und solidarisch für den Schaden haften, der der Allgemeinheit entstanden ist.
Damit sollte asymmetrischen Anreizstrukturen entgegengewirkt werden, die dazu führen, dass angestellte Personen risikobehaftete Entscheide treffen, doch nicht persönlich dafür haften. Es ginge also für die Mitglieder einer betroffenen Management-Kollektivgesellschaft nicht bloss um einen läppischen Bonusverzicht als höchstes der Schmerzgefühle, sondern ums Vermögen tout court, bis und mit Privatkonkurs. Auf diese Weise wären Manager (Agents) einem ähnlichen potenziellen Leidensdruck ausgesetzt wie Besitzer bzw. Unternehmer (Principals), deren Eigentum «auf dem Grill liegt», wie es ein namhafter Schweizer Industrieller einst bildhaft ausgedrückt hat.
Es wüssten also Mitglieder der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats einer solchen für die Volkswirtschaft lebenswichtigen Gesellschaft, dass es sie persönlich treffen könnte, wenn, letzten Endes, die Steuerzahler hinstehen müssten; das dürfte die Neigung zu Nachlässigkeit oder gar Hasardeurtum dämpfen. Zudem wären sich alle Manager darüber im Klaren, dass sie bei Verfehlungen die anderen Mitglieder der Kollektivgesellschaft mit ins Elend reissen können; ein starkes Argument, stets aufrecht und nüchtern zu bleiben – und auch einem mit viel Ego gesegneten Chef gegenüber Widerworte zu wagen, statt stumm zu nicken.
Dagegen liesse sich einwenden, die unternehmerisch erforderliche Risikobereitschaft würde unterdrückt. Dann allerdings gäbe es nicht so viele erfolgreiche besitzergeführte Betriebe. Dass mutmasslich viele dieser Unternehmen vergleichsweise konservativ geschäften und langfristig orientiert sind, schadet ihnen offenbar nicht, auch nicht ihrer Innovationskraft.
Modell wieder erwägen
Der Vorstoss wurde in den Wirtschaftskommissionen beider Räte besprochen und Ende 2011 zurückgezogen (damals war Schneider-Ammann bereits Bundesrat). Ein Allheilmittel wäre auch dieses Modell nicht geworden, schon gar nicht würden Strafzahlungen von Managementgesellschaften allfälligen Milliardenschaden substanziell ausgleichen können, doch dem Gerechtigkeitsempfinden im Publikum wäre Genüge getan.
Vor allem aber würde ein Haftungsrisiko dazu beitragen, in den infrage stehenden Gremien die Diskussionen zu konzentrieren, «to focus the mind» sozusagen. Diese Idee wieder in Erwägung zu ziehen, wäre nicht falsch.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Meinung – Manager sollen Risiko tragen – wie Eigentümer
Regulierung hat dem Untergang von Credit Suisse nicht vorbeugen können. Haftung wäre wirkungsvoller.