Das seit 2018 geltende neue Energiegesetz (EnG) soll eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung ermöglichen. Basis des EnG ist die Energiestrategie 2050 (ES 2050), ein Massnahmenpaket des Bundes zur langfristigen Sicherung der Energieversorgung. Ziele der ES 2050 sind die Verbesserung der Energieeffizienz, die Reduktion des Energiebedarfs, der Ausbau der Wärme- und der Stromerzeugung mit den neuen erneuerbaren Energieträgern (neE) Erdwärme, Biomasse, Sonne und Wind sowie die schrittweise Stilllegung der inländischen Kernkraftwerke (KKW).
Die ES 2050 geht für Stromversorgung und Stromverbrauch in der Zukunft von – nicht nur aus heutiger Sicht – zu optimistischen Annahmen aus. Politische Entscheidungsträger negierten früh geäusserte Bedenken, nicht zuletzt aufgrund einer breiten Unterstützung durch interessengeleitete Nichtregierungsorganisationen (NGO), Medien und sich Aufträge der öffentlichen Hand erhoffende Institutionen.
Die angestrebte Reduktion des Stromverbrauchs sollte durch Verbesserungen der Effizienz und Verhaltensänderungen (Nudging) erreicht werden. Der Stromverbrauch pro Kopf entwickelt sich bislang – trotz einer vermehrten Elektrifizierung vieler Arbeits- und Lebensbereiche – auch gemäss den Annahmen. Das Bevölkerungswachstum hat jedoch zu einem Anstieg des Stromverbrauchs insgesamt geführt. Künftig wird aber auch der Stromverbrauch pro Kopf zunehmen, vor allem aufgrund der Substitution fossiler Energieträger durch Strom.
Importe sind nicht gesichert
Die für eine zu jeder Tages- und Jahreszeit sichere Stromversorgung entscheidende Annahme der ES 2050 ist, dass die künftig entfallende Stromerzeugung der inländischen Kernkraftwerke durch einen Ausbau der Wasserkraftwerke, durch mit neE erzeugten Strom und bei Bedarf durch Stromimporte ersetzt werden kann. Nicht nur weil ein Stromabkommen mit der EU fehlt, sind Stromimporte – besonders zur Schliessung der Winterstromlücke – keinesfalls gesichert. Deutschland wird bald alle KKW stilllegen, und einige andere Nachbarländer werden zur Verringerung ihrer CO₂-Emissionen auf Strom aus Kohle-, Öl- und Gaskraftwerken immer mehr verzichten und selbst Probleme bei der Deckung ihres Strombedarfs bekommen.
«Für den mit Sonne und Wind nicht bedarfsgerecht erzeugten Strom gibt es derzeit weder detaillierte Projekte für Langzeitspeicher, noch sind Fördermittel vorgesehen.»
Der Ausbau bestehender und der Bau neuer Wasserkraftwerke konnten bislang noch nicht im vorgesehenen Ausmass realisiert werden. Geothermische Anlagen zur Erzeugung von Wärme und Strom gibt es praktisch noch nicht. Erdwärme kann nur mithilfe von Strom benötigenden Wärmepumpen genutzt werden. Auch die Stromerzeugung mit Photovoltaik- und Windkraftanlagen (PV- und WK-Anlagen) hat – trotz Fördergeldern in Höhe von bereits rund 7 Mrd. Fr. – die in der ES 2050 formulierten Jahresziele nicht erreicht. Lediglich das limitierte Potenzial von Biomasse wird wie vorgesehen zur Gewinnung von Wärme und Strom eingesetzt.
Stromerzeugung mit PV- und WK-Anlagen
Die Sonne scheint zwar häufig, und der Wind bläst oft, doch Dunkel- und Windflauten sind auch nicht selten und dauern manchmal länger als nur einige Stunden oder Tage. Um die künftig entfallende jährliche Stromproduktion der KKW kompensieren zu können, müssen – aufgrund der in der Schweiz vergleichsweise niedrigen Lastfaktoren von PV- und WK-Anlagen – extrem viele derartige Anlagen gebaut werden. Grosse und zunehmende Diskrepanzen von Stromerzeugung und Stromverbrauch sind damit unvermeidlich.
Die Einhaltung der Standardfrequenz von 50 Hz im Netz setzt ein stabiles Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch voraus. Eine zunehmende Stromerzeugung mit PV- und WK-Anlagen führt, solange Strom aus diesen Anlagen ohne Restriktionen in das Netz eingespeist werden darf (Einspeisevorrang), nicht nur zu temporären Überschüssen und Preiseinbrüchen auf dem Strommarkt, sondern zwingt die Netzbetreiber auch immer wieder zu temporären Abschaltungen oder Begrenzungen der Wirkleistung anderer Kraftwerke.
Ohne Speichermöglichkeiten beeinträchtigt eine zunehmende Stromerzeugung mit Sonne und Wind die Rentabilität aller Stromerzeugungsanlagen. Die technisch mögliche kurzfristige Speicherung von Strom in stationären Batterien und mit Hydropumpspeicheranlagen ist nicht gratis. Eine temporäre Stromspeicherung in Antriebsbatterien von Elektromobilen setzt eine grosse Anzahl bidirektional ladefähiger Fahrzeuge und von den Netzbetreibern zu steuernder Wallboxen voraus. Zwar steigt die Anzahl bidirektional ladefähiger Elektromobile kontinuierlich, entsprechend intelligente Wallboxen sind allerdings selten. Vor allem kosten solche Wallboxen erheblich mehr als die zurzeit marktüblichen Ladeeinrichtungen.
Die Besitzer von älteren Wallboxen müssen, wenn sie ihr bidirektional ladefähiges Fahrzeug als Kurzzeitspeicher zu Verfügung stellen wollen, deshalb nochmals investieren. Eine längerfristige Speicherung von Strom durch Umwandlung in Gas oder Flüssigkeiten (Power to Gas, Power to Liquid) wird noch deutlich mehr kosten (Elektrolyseure benötigen viel und kontinuierlich fliessenden Strom, Gasspeicher müssen gebaut werden, Umwandlungsverluste sind unvermeidlich usw.). Die Forcierung einer dezentralen Stromerzeugung setzt zudem einen verstärkten Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze voraus.
Dekarbonisierung und Stromversorgung
Die Schweiz hat 2015 auf der 21. Uno-Klimakonferenz (COP21) ein Abkommen zur Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen (THG) unterzeichnet, 2017 ratifiziert und sich damit auch zur Einhaltung der selbst gesetzten Reduktionsziele für die im Inland entstehenden THG-Emissionen verpflichtet. Im Zentrum der Massnahmen zur Reduktion der THG-Emissionen stehen aber praktisch nur die vergleichsweise einfach zu erfassenden CO₂-Emissionen. Zur Reduktion anderer THG, beispielsweise Methan, gibt es noch keine quantitativ festgelegten Ziele.
Die Schweiz will ab 2050 nur noch so viel CO₂ emittieren, wie natürliche und technische Speicher aufnehmen können (Netto-null-Ziel). Auf die Verbrennung fossiler Energieträger soll künftig – sofern es technisch möglich ist – verzichtet werden. Massnahmen zur Substitution fossiler Energieträger durch Strom (Dekarbonisierung) setzen jedoch voraus, dass zu jeder Tages- und Jahreszeit genügend Strom zu Verfügung steht. Der Strombedarf für eine weitgehende Dekarbonisierung wird allerdings meist unterschätzt. Mit einer wachsenden Anzahl von Wärmepumpen und elektrisch angetriebenen Fahrzeugen, einer fortschreitenden Digitalisierung sowie mit den für die saisonale Speicherung von Strom benötigten Elektrolyseuren usw. wird der Strombedarf massiv steigen.
Eine Reduktion der Verbrennung fossiler Energieträger verringert zwar die der Schweiz angelasteten CO₂-Emissionen, doch auf absehbare Zeit wird der Bau von PV- und WK-Anlagen ohne Importe nicht möglich sein. Gewinnung und Aufbereitung der für den Bau dieser Anlagen benötigten Rohstoffe führen vor allem im Ausland zu CO₂-Emissionen. Auch die in der Produktion von Solarzellen, WK-Anlagen, Batterien usw. entstehenden Emissionen belasten die CO₂-Bilanz der Schweiz kaum. Diese Emissionen sollten deshalb ebenfalls erfasst und vor allem nicht verschwiegen werden. Für die globale CO₂-Bilanz spielt es keine Rolle, an welchem Ort die Schadstoffe emittiert werden.
Reaktionen auf nicht auszuschliessende Strommangellagen
Abgesehen von den ohnehin nur für vorübergehende Strommangellagen in Betracht zu ziehenden Massnahmen (wie Sparappellen, Verbrauchseinschränkungen, Kontingentierung von Grossverbrauchern, der rollierenden Abschaltung von Stromnetzen usw.) wollen politische Entscheidungsträger an der ES 2050 grundsätzlich festhalten. Der Ausbau der Stromerzeugung mit PK- und WK-Anlagen soll weiterhin forciert werden. Auch an den Bau von PV-Anlagen in alpinen Regionen wird gedacht. Eine Hydroreserve soll eingerichtet und neue Stauseen sollen gebaut werden. Selbst der Bau konventioneller Backup-Kraftwerke – Öl- und Gaskraftwerke – wird trotz der dabei entstehenden CO₂-Emissionen nicht mehr ausgeschlossen. Die Politik scheint zudem bereit zu sein, Massnahmen zum Ausbau der inländischen Stromerzeugung grosszügig zu subventionieren.
Für den mit PV-Anlagen in alpinen Regionen erzeugten Strom müssen neue Übertragungsnetze gebaut werden. Die Winterstromlücke kann aufgrund des Zeitbedarfs für Projektierung, Bewilligung und Bau mit Sicherheit nicht rasch durch den Bau neuer Stauseen geschlossen werden. Gaskraftwerke sind zwar denkbar, aber zusätzliche Gasspeicher müssen noch gebaut und die Gasversorgung gesichert werden. Öl- und Gaskraftwerke sind zudem nur bei langen Einsatzzeiten und nicht in einem Stop-and-Go-Betrieb rentabel. Der Betrieb von in erster Linie zur Überbrückung kurzfristiger Strommangellagen eingesetzter Backup-Kraftwerke setzt deshalb entsprechende finanzielle Unterstützung voraus. Auch eine Hydroreserve verursacht Opportunitätskosten (Nutzenverzicht) und muss entschädigt werden.
Für den mit Sonne und Wind nicht bedarfsgerecht erzeugten Strom gibt es derzeit weder detaillierte Projekte für Langzeitspeicher, noch sind Fördermittel vorgesehen. Betreiber von PV- und WK-Anlagen können auf dem Day-Ahead-Markt (Spotmarkt für Strom) nur anbieten, wenn sie am nächsten Tag auch Strom liefern können, d.h., wenn an diesem Tag die Sonne scheint oder der Wind bläst bzw. sie rechtzeitig in Gasen oder Flüssigkeiten gespeicherten Strom in Strom umwandeln können. Diese Speicheranlagen sind damit nicht nur für die saisonale Speicherung, sondern auch für die Rentabilität von PV- und WK-Anlagen von Bedeutung.
Die inländischen KKW können – da die Betriebsbewilligungen unbefristet sind – in Betrieb bleiben, solange sie die periodische Sicherheitsüberprüfung bestehen. Die Zeit bis zu ihrer definitiven Stilllegung sollten Politik und Energieversorgungsunternehmen (EVU) deshalb nutzen, um die Energiestrategie zu überdenken.
Energiestrategie – ohne Neustart kein Erfolg
Ein «Weiter so wie bisher» ist sicher nicht zielführend. Es gilt, Wege für eine möglichst problemlose Energiewende aufzuzeigen. Zielkonflikte der ES 2050 – Stromerzeugung mit neE versus Landschafts- und Umweltschutz, Bau neuer Stauseen versus Landschafts- und Umweltschutz, Autarkiebestreben versus zunehmende Auslandabhängigkeit, Klimapolitik durch Reduktion der CO₂-Emissionen im Inland versus Verlagerung dieser Emissionen ins Ausland usw. – müssen thematisiert und dürfen nicht länger ignoriert werden.
Die Prioritäten müssen unbedingt neu gesetzt werden. Es ergibt wenig Sinn, einzelne Schritte, zum Beispiel eine umfassende Dekarbonisierung, zu propagieren und zu forcieren, ohne eine zu jeder Zeit sichere Stromversorgung gewährleisten zu können. Aus klimapolitischer Sicht sollten Massnahmen zur Reduktion der CO₂-Emissionen im Inland auch nicht zu höheren Emissionen im Ausland führen.
Eine zum Erfolg führende Energiestrategie setzt vor allem Redlichkeit in Bezug auf die Entwicklung der Energiekosten voraus. Auf Netzentgelte, Abgaben und Steuern überwälzte direkte und indirekte Fördermassnahmen verzerren die effektive Kostenentwicklung und verleiten zu Fehlentscheiden.
Kosten transparent ausweisen
Die Systemkosten der Stromerzeugung mit PV- und WK-Anlagen müssen deshalb künftig vollständig ausgewiesen werden. Zu vollständigen Systemkosten gehören nicht nur die gesamten Gestehungs- und Betriebskosten der Anlagen zur Stromerzeugung, sondern auch die Vollkosten der Anlagen zur unabdingbaren kurzzeitigen und saisonalen Stromspeicherung sowie die Kosten für den aufgrund der zunehmenden dezentralen Stromerzeugung erforderlichen Ausbau der Netze. Da auf eine saisonale Speicherung nicht verzichtet werden kann, müssen ggf. auch die Stromkosten für die zur Umwandlung erforderlichen Elektrolyseure und die bei Umwandlung und Rückverstromung entstehenden Verluste berücksichtigt werden. Erst wenn effektiv Daten zu den Kosten der Stromerzeugung mit PV- und WK-Anlagen und zu den Kosten für die Speicherung nicht bedarfsgerecht erzeugten Stroms vorliegen, kann und sollte über den künftigen Strommix entschieden werden.
Die Auswirkungen der Strompreisentwicklung auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der im Lande produzierten Güter müssen zudem thematisiert und zur Diskussion gestellt werden. Eine langfristig sichere und kostengünstige Stromversorgung ist für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zweifellos unverzichtbar. Eigner bzw. Aktionäre – und dies sind mehrheitlich Kantone, Städte oder Gemeinden – und Management der EVU sollten sich deshalb auch weniger an kurzfristigen und häufig nur auf Fördermassnahmen und Subventionen zurückgehenden Opportunitäten orientieren, sondern, trotz unvermeidlicher Risiken, wieder als langfristig denkende Investoren agieren.
Bernd Schips ist Prof. em. für Nationalökonomie an der ETH Zürich.
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Meinung – Politikfehler erschweren und verteuern die Energiewende
«Weiter so» führt in der Schweizer Energiepolitik nicht zum Ziel. Die Prioritäten müssen neu gesetzt werden. Es ist sinnlos, eine umfassende Dekarbonisierung zu forcieren, ohne eine sichere Stromversorgung gewährleisten zu können.