Puerto Rico ist Teil der USA, aber kein Bundesstaat. Die Insel ist ein vom US-Kongress bestätigtes Überseegebiet (und ein Freistaat) mit eigener Verfassung. Auf der Insel gilt das amerikanische Bundesrecht, Währung ist der US-Dollar und Puerto Ricaner sind amerikanische Staatsbürger; sie besitzen jedoch kein Stimmrecht bei den Präsidentschaftswahlen und entsenden keine stimmberechtigten Vertreter in den Kongress. Auch bei staatlichen Leistungen, steuerlicher Behandlung und Unternehmensregulierung gibt es Unterschiede zwischen dem Festland und der Insel.
Puerto Ricos Verbindungen zum Festland sind wichtig. Die amerikanische Staatsbürgerschaft ermöglicht den freien Personenverkehr in die und aus den USA und der Dollar und das US-Recht sind natürlich wertvoll. 2020 betrug das Pro-Kopf-Einkommen in Puerto Rico 31’430 $. Das liegt zwar deutlich unter dem US-Mittelwert von 69’300 $, jedoch weit über dem der meisten lateinamerikanischen Länder.
Puerto Ricos Wirtschaft ist in den vergangenen zwanzig Jahren jedoch kaum gewachsen und das Pro-Kopf-Einkommen ist inflationsbereinigt zwischen 2004 und 2020 rund 12% gesunken. Weil viele Puerto Ricaner aufs Festland übersiedeln, schrumpft die Bevölkerung. Schon 2015 war Puerto Rico bankrott, also noch bevor die zerstörerischen Hurrikane Maria (2017) und Fiona (2022) über die Insel zogen. Diese Naturkatastrophen verschärften die Folgen des schweren wirtschaftlichen Missmanagements, das vor allem dem Wechselspiel zwischen US-Bundespolitik und einheimischer Politik geschuldet ist.
Unausgereifte Wirtschaftspolitik
So gewährte das puerto-ricanische Arbeitsrecht Beschäftigten lange Zeit mehr Rechte, als sie Beschäftigte auf dem Festland geniessen. Obwohl auf der Insel bereits der US-Mindestlohn gilt, der angesichts des niedrigen Pro-Kopf-Einkommens schon zu hoch ist, wurde der Mindestlohn auf der Insel gesetzlich weiter angehoben. Arbeitgeber müssen bereits nach einer dreimonatigen Beschäftigung Bussgelder für Kündigungen fürchten (was sie davon abhält Praktika- und Lehrstellen anzubieten) und auch die Krankschreibungs- und Urlaubsregelungen sind grosszügiger als auf dem Festland.
«Naturkatastrophen verschärfen die Folgen des schweren wirtschaftlichen Missmanagements, das vor allem dem Wechselspiel zwischen US-Bundespolitik und einheimischer Politik geschuldet ist.»
All dies hat dazu geführt, dass die offizielle Erwerbsquote im Jahr 2015 bei nur 40% lag (im Vergleich zu 62% in den USA insgesamt). Die Folge ist ein sehr grosser informeller Sektor. Im vergangenen Jahrzehnt trugen in Puerto Rico Vollzeitstellen mit Mindestlohn 77% zum Pro-Kopf-Einkommen bei, auf dem Festland dagegen nur 28%. Diese Bedingungen hatten sicherlich einen wesentlichen Anteil an der hohen Auswanderungsquote. Infolge seiner unausgereiften Wirtschaftspolitik erreichte Puerto Rico im Ease of Doing Business Index der Weltbank 2020 nur den 65. Platz (von 190) – hinter Mexiko und der Ukraine und seinem eigenen 47. Platz im Jahr 2015.
Neben dem Arbeitsrecht spricht auch die traurige Geschichte der puerto-ricanischen Elektrizitätsversorgung eine deutliche Sprache. Teile der Insel hatten nach Hurrikan Maria monatelang keinen Strom und obwohl nach dieser Katastrophe Milliarden Dollar in die Wiederherstellung des Netzes gesteckt wurden, fiel auch nach Fiona in grossen Teilen der Insel erneut der Strom aus. Die Stromversorgung auf Puerto Rico war schon lange vor Maria schwankend und unzuverlässig. Als staatliches Unternehmen lieferte der Stromversorger Prepa öffentlichen Einrichtungen den Strom zum Nulltarif und auch die Stromtarife für gewerbliche Nutzer und Privathaushalte waren sehr niedrig.
Schlechte Stromversorgung
Da dies offensichtlich kein nachhaltiges Geschäftsmodell darstellt, vernachlässigte Prepa die Wartung der Infrastruktur und musste sich Milliarden Dollar von ausländischen Geldgebern leihen, um den Betrieb aufrecht zu halten. Generatorprobleme, Stromausfälle (viermal häufiger als auf dem Festland), schwere und tödliche Arbeitsunfälle und Umweltverschmutzung waren häufig die Folge. Einem Bericht des in Massachusetts ansässigen Beratungsunternehmens Synapse Energy Economics zufolge waren die Stromleitungen «morsch, verrostet und kurz vor dem Zusammenbruch». Aber auch die Kosten waren höher als nötig, nicht zuletzt, weil der amerikanische Jones Act, der es im Ausland registrierten Schiffen verbietet, Güter zwischen amerikanischen Häfen zu befördern, den Preis für das Öl in die Höhe getrieben hatte, mit dem der Grossteil des Stroms auf der Insel erzeugt wird.
Die amerikanische Katastrophenschutzbehörde Fema ist befugt, den Wiederaufbau von Stromleitungen zu finanzieren und Mittel zur Verbesserung ihrer Resilienz bereitzustellen, nicht jedoch, das gesamte Stromnetz zu überholen. Dementsprechend wurde Puerto Ricos Elektrizitätssystem nach dem Hurrikan Maria lediglich wieder in seinen vorherigen schlechten Zustand versetzt.
Angesichts der Tatsache, dass die Insel häufig von Hurrikans getroffen wird, würde eine stärker dezentralisierte Stromerzeugung über eine Reihe von Mikronetzen die Störungsanfälligkeit des Systems verringern. Die Generatoren von Prepa dagegen sind im Südosten konzentriert und der Strom wird durch oberirdische Leitungen über die Berge geleitet. Wenn das System nicht aufgerüstet wird, werden die Schäden nach dem nächsten grossen Hurrikan genauso umfassend ausfallen wie nach dem letzten und für Puerto Rico und die Fema ebenso teuer werden. Obwohl die Kosten für ein Upgrade einmalig die Kosten für den blossen Wiederaufbau übersteigen, lägen sie immer noch weit unter den Kosten für die wiederholte Reparatur des bestehenden Netzes, das veraltet und störungsanfällig ist. Nach dem Gesetz darf die Fema ein solches Upgrade jedoch nicht finanzieren.
Als Bundesstaat hätte es Puerto Rico leichter
Seit 1967 hat Puerto Rico sechs Referenden über seinen Status durchgeführt, bei denen die Bevölkerungsmehrheit von der Beibehaltung des Status quo bis zur Unabhängigkeit von den USA für unterschiedlichste Optionen gestimmt hat. Diese ungelöste Frage behindert die politischen Entscheidungsprozesse auf Bundesebene und im Freistaat. Einige «Privilegien», wie die Steuerbefreiung von US-Unternehmen, die Produktionsanlagen in Puerto Rico betreiben, sind ein zweischneidiges Schwert. Diese Ausnahmeregelung bot zwar der Pharmaindustrie Anreize, das Kapital und die gut ausgebildeten Arbeitskräfte Puerto Ricos (wenn auch kaum gering qualifizierte Arbeitnehmer) zu nutzen. Allerdings war nie klar, wie lange diese Ausnahmeregelung gelten würde, und tatsächlich wurde sie 2006 aufgehoben und schrittweise ausser Kraft gesetzt.
Andererseits hätte der Status als US-Bundesstaat für Puerto Rico einige Vorteile. Als Bundesstaat bekäme die Insel pro Jahr schätzungsweise zusätzliche 12 Mrd. $ von der Bundesregierung.
Aus den Erfahrungen Puerto Ricos können wir viel lernen. Vor allem aber zeigen sie uns, wie wichtig es ist, Institutionen aufzubauen und zu pflegen, die über alle Regierungsebenen hinweg durchdachte wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen können.
Anne O. Krueger ist Professorin für Internationale Wirtschaftswissenschaften an der Johns Hopkins University School of Advanced International Studies und Senior Fellow am Center for International Development der Stanford University. Copyright: Project Syndicate.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Meinung – Puerto Ricos Regierungschaos
Seit 1967 hat Puerto Rico sechs Referenden über seinen Status durchgeführt. Diese Frage ist ungelöst, was die politischen Entscheidungsprozesse sowohl auf der Insel wie auf amerikanischer Bundesebene behindert.