RohstoffeRohölpreise zwischen Hoffen und Bangen
Händler bezeichnen die Preisentwicklung an den Rohölmärkten als eine «Achterbahn der Gefühle». Laut Experten dürften die Schwankungen noch eine Weile andauern.

Für die Rohölmärkte waren die letzten Wochen unter dem Strich nichts weiter als ein Nullsummenspiel. Mit etwas mehr als 82 $ kostete ein Fass der Sorte Brent Crude (159 Liter) zuletzt in etwa wieder so viel wie in den ersten Januar-Tagen.
Anders als diese Entwicklung vermuten liesse, bezeichnen Rohstoffhändler die Zeit seit Jahresbeginn als eine «Achterbahnfahrt der Gefühle». Und tatsächlich unterlag die Preisentwicklung beim Rohöl starken Stimmungsschwankungen mit Preisen zwischen 77.61 und 89.09 $ je Fass.
Wie das Chief Investment Office der UBS in einem Kommentar schreibt, dürften uns diese Stimmungsschwankungen in den kommenden Wochen und Monaten noch eine ganze Weile begleiten. Die Autoren untermauern diese Prognose damit, dass beim Rohöl momentan unterschiedlichste Faktoren in die Preisgestaltung mithineinspielen.
Entfalten die Sanktionen gegen Russland ihre Wirkung?
Ein zentraler Faktor ist und bleibt das Ölembargo gegen Russland. Erst kürzlich kündigte Moskau eine Drosselung der Tagesproduktion um 500'000 Fass ab März an. Die UBS-Experten sehen darin erste Anhaltspunkte, dass die Sanktionen gegen Russland endlich die erhoffte Wirkung entfalten.
Nach dem Inkrafttreten des Importverbots für russische Erdölprodukte durch die Europäische Union im Dezember sei es Moskau im ersten Moment möglich gewesen, in anderen Weltregionen Abnehmer zu finden. Fündig sei man vor allem in Asien geworden, wie es weiter heisst.
Wegen der geplanten Produktionskürzung schliessen die Experten nun aber darauf, dass es Russland zusehends schwerfällt, neue Abnehmer zu finden. Ausserdem fehlen kleinere Tankschiffe, um ursprünglich für Europa bestimmte Erdölprodukte in andere Weltregionen transportieren zu können. Im Chief Investment Office der UBS geht man deshalb davon aus, dass die russische Tagesproduktion von 9,8 Mio. Fass im Dezember auf unter 9 Mio. Fass fallen könnte. Das spräche für steigende Erdölpreise.
Etwas zurückhaltender sind hingegen die Berufskollegen der Bank Julius Bär um den Rohstoffstrategen Norbert Rücker. Wie er in einem Kommentar an die eigene Kundschaft festhält, hat sich die Situation beim Rohöl zuletzt sichtlich entspannt. Für Rücker hat die Angst vor einer sanktionsbedingten Ölknappheit denn auch spürbar nachgelassen.
Einflussfaktor China wird kontrovers beurteilt
Ähnliches gilt dem Julius-Bär-Experten zufolge für die wirtschaftliche Wiederöffnung Chinas. Auch auf das Wegfallen von pandemiebedingten Ausgangssperren und Reiseeinschränkungen würden die Märkte zusehends gelassen reagieren. Vielmehr glaubt er, dass weder die westlichen Sanktionen gegen Russland noch die Wiederöffnung Chinas beim Erdöl zu einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führen wird.
Rücker rechnet mit einer langsamen Normalisierung und hält an seinen bisherigen Prognosen fest. Bis in drei Monaten sieht der Rohstoffstratege den Preis für ein Fass der Sorte Brent Crude auf 80 $ fallen. In 12 Monaten erwartet er sogar nur noch einen Fasspreis von 75 $.
Dem widersprechen die Berufskollegen bei der UBS mit Entschiedenheit. Sie sehen den Rohölpreis im weiteren Jahresverlauf sogar auf 110 $ je Fass steigen. Treibende Kraft dahinter dürfte die wirtschaftliche Belebung Chinas und der angrenzenden Länder sein. Die Experten glauben, dass die aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens für rund zwei Drittel des diesjährigen Wachstums bei der weltweiten Erdölnachfrage verantwortlich sein werden.
Im Zuge dessen werde der weltweite Tagesverbrauch in der zweiten Jahreshälfte auf über 103 Mrd. Fass steigen. Auf das Gesamtjahr betrachtet sagen sie ein Nachfragewachstum von 7% voraus. Mitunter ein Grund hierfür dürfte die Belebung des Reiseverkehrs sein. Erste wichtige Erkenntnisse liefern Erhebungen rund um das chinesische Neujahrsfest. Wie Statistiken zeigen, schwoll das Reiseaufkommen rund um das Fest auf knapp 96 Mio. Personen an, was gegenüber den im Vorjahr gemessenen 74,4 Mio. Personen einem starken Anstieg entspricht.
Robert Rücker von der Bank Julius Bär gibt hingegen zu bedenken, dass andere energieintensive Wirtschaftszweige Chinas im letzten Jahr entweder keinen massnahmenbedingten Dämpfer zu beklagen gehabt hätten oder aber neuerdings zur Schwäche neigten. Ausserdem verweist er auf die strategischen Ölreserven Pekings.
Auch Förderländer ausserhalb der OPEC wichtig
Erst vor wenigen Tagen sah sich der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman anlässlich eines Medienforums in Riad zu einer Klarstellung veranlasst. Er wies Anschuldigungen entschieden zurück, dass die im Oktober entschiedene Produktionsdrosselung durch die erweiterte Organisation Erdölexportierender Staaten (OPEC+) politisch motiviert gewesen sei.
Für die Rohstoffstrategen der UBS sowie der britischen Barclays entscheiden allerdings auch die nicht der OPEC+ angehörenden Förderländer über die künftige Richtung der Ölpreisentwicklung. Die UBS-Experten gehen auch bei diesen Ländern von rückläufigen Fördermengen aus, was sich in Form steigender Ölpreisnotierungen bemerkbar machen sollte.
Ähnlich sehen es jene von Barclays. Auch sie widersprechen den Prognosen der Bank Julius Bär und sehen den Preis für ein Fass der Sorte Brent Crude bis ins vierte Quartal auf 106 $ steigen. Welches der beiden Expertenlager mit seinen Ölpreisprognosen richtig liegt, dürften womöglich aber schon die nächsten Wochen und Monate zeigen.
AWP
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