Die Welt befindet sich in einer Megakrise, die sich aus der Covid-Pandemie, Russlands Krieg in der Ukraine, hoher Inflation, Rezessionsängsten und zunehmender Verschuldung in Schwellen- und Entwicklungsländern zusammensetzt. Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine weitere Quelle für wirtschaftlichen Schaden. Aber genau das könnten wir bekommen, in Form eines weiteren zerstörerischen Handelskriegs.
Handelskriege sind äusserst schädlich, weil die beteiligten Länder dazu neigen, Vergeltung zu üben, indem sie immer höhere Handelsschranken errichten. Dieser Teufelskreis wurde für die starke Verlängerung der Weltwirtschaftskrise in den Dreissigerjahren verantwortlich gemacht. Deshalb waren die USA nach 1945 führend in der Entwicklung eines neuen Welthandelssystems, das die Grundlage für die erfolgreichste Periode des globalen Wirtschaftswachstums in der Geschichte bildete. Siebzig Jahre lang wurde der Welthandel durch die Rechtsstaatlichkeit gestützt, wobei eine internationale Organisation – das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, das von der Welthandelsorganisation WTO abgelöst wurde – die unparteiische Beilegung von Streitigkeiten sicherstellte.
Doch 2017 hat die Regierung von Donald Trump der WTO die Unterstützung der USA entzogen und einen Handelskrieg mit China begonnen. Sie verhängte nicht nur diskriminierende Zölle auf Einfuhren, sondern auch weitreichendere Abgaben auf Waren wie Stahl und Aluminium, wobei sie sich zweifelhaft auf «Bedenken wegen der nationalen Sicherheit» berief. Obwohl die meisten Handelsjuristen der Meinung waren, dass diese Massnahmen nach den WTO-Regeln rechtswidrig sind, verzichteten die US-Handelspartner auf Vergeltungsmassnahmen in der Hoffnung, dass die nächste Regierung Trumps protektionistische Politik zurückdrehen würde.
Vergeltungsmassnahmen sind wahrscheinlich
Leider hat die Regierung von Präsident Joe Biden weder Trumps Handelsmassnahmen rückgängig gemacht noch wichtige WTO-Funktionen wie den Streitbeilegungsmechanismus wiederhergestellt. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, werden der diesjährige US Inflation Reduction Act (IRA) und der Chips and Science Act den wichtigsten Handelspartnern und Verbündeten so viel Schaden zufügen, dass sie mit ziemlicher Sicherheit Vergeltungsmassnahmen ergreifen müssen. Die USA werden sich dann in einem Handelskrieg nicht nur mit China, sondern auch mit ihren eigenen Verbündeten wiederfinden, und die Welt wird mit einer weiteren grossen Krise konfrontiert sein: dem Zusammenbruch des internationalen Handelssystems.
«Aus der Sicht ausländischer Politiker ist die Automobilindustrie wirtschaftlich zu wichtig, als dass sie angesichts der unfairen US-Praktiken tatenlos zusehen könnten. Sie können einfach nicht zulassen, dass ihre eigenen Autofabriken aufgrund amerikanischer Subventionen Marktanteile verlieren.»
Sowohl der IRA als auch das Chips-Gesetz sind offen protektionistisch und diskriminierend. Beide verstossen gegen Vereinbarungen, die die USA in mehreren Runden multilateraler Zollsenkungsverhandlungen getroffen haben. So sieht der IRA beispielsweise eine Subvention in Höhe von 7500 $ für heimische Käufer von Elektrofahrzeugen vor, sofern diese in Amerika hergestellt wurden und überwiegend aus amerikanischen Teilen bestehen (und diese Komponenten müssen Batterien enthalten, die 40% der Kosten von Elektrofahrzeugen ausmachen). In ähnlicher Weise stellt das Chips-Gesetz 52 Mrd. $ für die Finanzierung von Investitionen in «Fabs» (Chipfabriken) bereit, die von privaten Unternehmen in den USA gebaut werden.
Es ist zu bezweifeln, dass die Subventionierung von Elektrofahrzeugen, die im Ausland hergestellte Autos (sowie Batterien und andere Autokomponenten) aus der EU, dem Vereinigten Königreich, Japan und Südkorea stark benachteiligt, gerechtfertigt ist. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass sie den beabsichtigten Zweck («Schaffung guter Arbeitsplätze» und eine schnellere Abkehr vom Verbrennungsmotor) erfüllen wird.
Eskalation des Gegeneinanders
Es ist sogar noch unwahrscheinlicher, dass das Chips-Gesetz die von seinen Befürwortern gewünschten Ergebnisse erreichen wird. Es droht bereits eine Halbleiterschwemme, und das hat einige führende (amerikanische und ausländische) Hersteller veranlasst, zu erklären, dass sie Pläne zum Bau neuer Produktionsanlagen nur dann umsetzen werden, wenn sie Subventionen erhalten.
Aus der Sicht ausländischer Politiker ist die Automobilindustrie wirtschaftlich zu wichtig, als dass sie angesichts der unfairen US-Praktiken tatenlos zusehen könnten. Sie können einfach nicht zulassen, dass ihre eigenen Autofabriken aufgrund amerikanischer Subventionen Marktanteile verlieren. Wie der französische Präsident Emmanuel Macron bei seinem jüngsten Staatsbesuch im Weissen Haus gegenüber Biden deutlich gemacht hat, birgt Amerikas einseitiger Protektionismus die Gefahr, einen breiteren Handelskrieg auszulösen. Auch andere Regierungen stehen unter wachsendem politischen Druck, die Chipproduktion als Reaktion auf die jüngsten Massnahmen Washingtons zu subventionieren, und mehrere ausländische Hersteller kündigen Pläne zum Bau von Fabriken in den USA an, um den unlauteren Wettbewerb zu umgehen.
Wenn der IRA und das Chips-Gesetz wie geplant am 1. Januar in Kraft treten, werden Amerikas Verbündete mit ziemlicher Sicherheit Vergeltungsmassnahmen ergreifen, was wiederum Gegenmassnahmen der USA nach sich ziehen wird. Diese Eskalation des Gegeneinanders ist bei weitem nicht auf Autos und Halbleiter beschränkt, sondern könnte immer mehr Exportkategorien betreffen und so das Ausmass des wirtschaftlichen Schadens erhöhen. Macron hat bereits angedeutet, dass Europa damit beginnen sollte, zugunsten seiner Industrien zu diskriminieren.
Ein Fall für die WTO
Die wichtigsten Handelsmächte müssen schnell eingreifen, um den Ausbruch eines Handelskriegs zu verhindern. Das Chipproblem sollte vor die WTO gebracht werden, und die USA sollten sich an eine wahrscheinliche Entscheidung halten, dass die Subventionen rechtswidrig sind. Die Chiphersteller könnten sich gemeinsam auf einen Pakt einigen, der die Exportregeln für Maschinen und Chips sowie einen Durchsetzungsmechanismus festlegt. Die USA könnten einen Teil der jetzt geplanten materiellen Investitionen durch dringend benötigte zusätzliche Investitionen in Bildung und Ausbildung ersetzen, die es den einheimischen Herstellern ermöglichen würden, leichter gut ausgebildete Arbeitskräfte einzustellen.
Die neuen Anlagen, die derzeit gebaut werden, sind für Chips bestimmt, die bereits produziert werden, und die Lagerbestände dieser Chips könnten anstelle von Investitionen in neue Fabriken aufgebaut werden, besonders jetzt, wo die Nachfrage nach Chips zurückgegangen zu sein scheint. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass alle Maschinen und das Know-how, das in anderen Ländern in der Produktion von Maschinen zur Herstellung von Chips und von Chips selbst steckt, in die USA zurückgebracht werden können. Jede dieser Massnahmen würde mit ziemlicher Sicherheit zu Ergebnissen führen, die den Zielen der USA näher kommen als die derzeit geplanten Subventionen.
Auch bei E-Fahrzeugen und Batterien müssen ausländische und inländische Hersteller unter gleichen Bedingungen konkurrieren. Autoexportierende Länder könnten alle Käufer neuer E-Fahrzeuge mit dem gleichen Betrag wie die Amerikaner subventionieren; die Regierung Biden könnte eine Gesetzesänderung anstreben, um Subventionen für den Kauf aller E-Fahrzeuge, einschliesslich der Importe, zu gewähren. Darüber hinaus müssten auch die Anforderungen an den amerikanischen Inlandanteil bei Batterien angepasst werden.
Wie bei den Chips würde jede dieser Massnahmen zu einem weitaus besseren Ergebnis für die Weltwirtschaft führen. Protektionismus setzt die Messlatte niedrig an.
Anne O. Krueger ist Senior Research Professor of International Economics an der Johns Hopkins University School of Advanced International Studies und Senior Fellow am Center for International Development der Stanford University. Copyright: Project Syndicate.
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Meinung – Schlafwandelnd in einen globalen Handelskrieg
Amerikas Protektionismus birgt die Gefahr, einen breiteren Handelskrieg auszulösen. Andere Regierungen stehen unter Druck, die Chipproduktion als Reaktion auf Washingtons Massnahmen zu subventionieren.