Die Krankenkassenprämien steigen 6,6% im Durchschnitt. Was bedeutet das in unserem föderalistischen System konkret? Das entspricht in einem Kanton mit zwei bis drei Prämienregionen, abgestuft nach Alter, mehreren Prämienmodellen und bei 58 Krankenkassen, mehreren hundert, über 26 Kantone hinweg mehreren tausend Einzelprämien in Franken und Rappen.
Prämienunterschiede gibt es nicht nur zwischen den Kantonen und innerhalb der Kassen nach Modellen und Alter. Lokale geografische Abgrenzungen kommen hinzu. Im Kanton Basel-Stadt bezahlt der Versicherte im Durchschnitt 426 Fr., im Kanton Bern 344 Fr. Aber in der Stadt Bern (Region 1) bezahlt er für die gleichen Leistungen (Standardmodell, Erwachsene, Franchise 300 Fr. ohne Unfall) je nach Krankenkasse zwischen 501 und 603 Fr., in der Region 2 zwischen 438 und 552 Fr. und in der Region 3 zwischen 402 und 515 Fr.
Regionale Krankenkassen und unterschiedliche Prämienregionen stammen aus dem vergangenen Jahrhundert. Damals war man in einer kantonalen Krankenkasse versichert, die Arzt- und Spitalleistungen im eigenen Kanton abdeckte. Deshalb gab es auch Kantonsspitäler, die das gesamte medizinische Angebot umfassten.
«Jedem Täli sein Spitäli»
Mit der Mobilität und der Spezialisierung von heute stimmt dieses Bild nicht mehr mit den alten Strukturen überein. Sind die Unterschiede noch berechtigt? Wohl kaum, aber die Kantonsregierungen halten an ihrer Souveränität fest, sowohl bezogen auf ihre eigenen Spitäler wie in Bezug auf die Landesregionen. Schliesslich will man als Regierungsrat wiedergewählt werden.
Unter dem Motto: «Jedem Täli sein Spitäli» geht es weiter. Es fällt immer noch schwer, ein Geburtsspital in der Landschaft aufzugeben, ein Lokalspital in eine Palliativklinik umzuwandeln. Zwar besuchen die Landbewohner für Spezialtherapien das Universitätsspital im Zentrum. Aber das eigene lokale Krankenhaus will man behalten. Heute gibt es in der Schweiz 280 Krankenhäuser, ohne Alters- und Pflegeheime, und fünf Universitätsspitäler. Warum sucht man nicht nach kosteneinsparenden Lösungen für eine schweizweite Spitalplanung?
«Die kantonalen Gesundheitsdirektoren halten an veralteten Strukturen fest.»
Die Kantone sind auch nicht bereit, die unterschiedliche Bezahlung von ambulant und stationär im Spital zu vereinheitlichen. Heute finanzieren die Kantone einen Spitalaufenthalt stationär zu 55%, die Krankenkassen zu 45%. Stationär gilt der Tarif SwissDRG, ambulant Tarmed, bezahlt allein von den Krankenkassen. Der Kanton ist nicht nur Spitalbesitzer, sondern auch Tarifpartner, Aufsichts- und Kontrollbehörde. Er entscheidet auch über die Zulassung von Listenspitälern und Ärzten und finanziert die eigenen Spitäler.
Die kantonalen Gesundheitsdirektoren halten an veralteten Strukturen fest. In wenigen Fällen haben sie sich zu regionalen Konkordaten zusammengeschlossen. Aber gegen eine schweizweit geordnete Spitalplanung wehren sie sich. Damit passen sie sich der Zeit nicht an. Der auf dem Land wohnende und in Bern beschäftigte Patient sucht in Bern Behandlung.
Spezialfälle in den Unispitälern, Notfälle in der Region
Leidet er unter einer speziellen Krankheit, bevorzugt er den Spezialisten im Unispital. Für komplexe Behandlungen ist das Unispital aus den Spitälern in Solothurn, Biel, Freiburg, Thun, Konolfingen, Langenthal mit dem Helikopter binnen zwanzig Minuten erreichbar. Das Gleiche gilt für Basel, Zürich, Lausanne und Genf und ihre Umgebung. Warum koordiniert man die Spitalplanung nicht schweizweit: Spezialzentren in den Unispitälern, Notfall in Geriatrie und Palliativzentren in den Regionen?
Ambulante und stationäre Behandlungen machen ein Drittel aller Kosten der obligatorischen Krankenversicherung aus. Zwar versucht man, in die kantonale Hoheit der stationären Behandlung einzugreifen. Aber grundsätzlich ändert sich nichts. Dabei schenkten gerade in diesem föderalen Bereich die Kosteneinsparungen wohl am stärksten ein. Statt sich dieser fundamentalen Herausforderungen anzunehmen, spielen Bundesrat und Parlament nicht auf der grossen Orgel, sondern mit der Handharmonika.
Eingeführt wird eine komplizierte Kostenbremse, mit der das Kostenwachstum im Nachhinein medizinisch, qualitätstechnisch und ökonomisch begründet werden soll. Dabei gilt seit 1996 Artikel 32 des Krankenversicherungsgesetzes (KVG): «Die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen werden periodisch überprüft.»
«Bezahlen soll der Bund. Natürlich nimmt er das Geld von den Reichen.»
Warum hat sich niemand dieser Aufgabe angenommen? Ärzte und Spitäler sollen künftig nicht nur Preise aushandeln, sondern auch Fallzahlen. Was bringt dieser Vorschlag? Jedes kantonseigene Spital wird natürlich dafür sorgen, dass es eine möglichst hohe Anzahl von Fällen bearbeiten kann. Ist das kostensparend?
Die Prämien nehmen laufend zu. Binnen 25 Jahren haben sie sich im Durchschnitt mehr als verdoppelt. Über die Kantone werden Prämienverbilligungen geleistet, finanziert von Bund und Kantonen. Insgesamt werden dafür über 5 Mrd. Fr. verwendet. Die Kantone danken dem Bund für seine Aufstockung der Gelder für Prämienerhöhungen und sparen so im eigenen Kanton, wenn sie nur wenig selbst dazu beitragen.
Welche Lösungen offerieren die Politiker zu diesem Thema? Versicherte sollen nur noch 10% ihres verfügbaren Einkommens für die Krankenkassen zahlen. Gemäss SP soll der Bund einfach zusätzliche 2 Mrd. Fr. einschütten. Wer soll das bezahlen? Natürlich der Bund. Von wem nimmt er das Geld? Natürlich von den Reichen.
Gesundheit wird zum Konsumgut
Werden auf diese Art und Weise die steigenden Kosten gebremst? Wohl kaum, denn die vorgeschlagenen Massnahmen sind reine Symptomtherapie. Der Arzt versucht, die Ursache einer Krankheit zu eruieren. Es stünde der Politik gut an, wenn auch sie ursächlich agieren würde.
Die Schweiz ist seit dem vergangenen Jahrhundert von 3,5 auf fast 9 Mio. Menschen gewachsen. Sie sind heute älter, mobiler, multikultureller und grösstenteils auch wohlhabender. Kantonsgrenzen spielen keine Rolle mehr. Der zum Konsum erzogene Letztverbraucher «konsumiert» auch Gesundheit, schliesslich hat er hohe Krankenkassenprämien bezahlt. Er hat ein «Recht» auf gute Behandlung.
Mit der Langlebigkeit, dem technischen Fortschritt in der Medizin und dem breiten Angebot an Leistungen nehmen die Kosten für die Gesundheitserhaltung automatisch zu. Gelingt eine Kosteneindämmung nur über Zentralismus? Hat der Föderalismus im Gesundheitswesen ausgedient? Das sind die zentralen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Symptomtherapien genügen nicht.
Werner C. Hug ist freier Bundeshausjournalist und spezialisiert auf Fragen der sozialen Sicherheit.
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Meinung – Symptomtherapien im Gesundheitswesen
Die Kosten für die Erhaltung der Gesundheit nehmen laufend zu. Die Politik reagiert mit ungeeigneten Massnahmen.