Wozu brauchen wir Glühbirnen, wir haben doch Kerzen. Jeder radikalen Innovation geht eine Frage dieser Art voraus. Unser Leben in der Schweiz und – mit Blick auf den Fokus dieses Artikels – unser Zahlungsverkehr funktionieren problemlos. Weshalb sollten wir da über technologische Neuerungen nachdenken, deren Funktionen und Auswirkungen auf die Märkte und das tägliche Leben so schwierig zu erfassen und zu verstehen sind, dass Regierungen und Zentralbanken lieber erst einmal abwinken?
Es ist anerkannt, dass Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in direktem Zusammenhang mit Innovationsfähigkeit stehen. Nicht von ungefähr messen Bund und Kantone der Bildung, der Forschung und der Innovation in der Schweiz seit langem eine hohe Bedeutung zu und verbinden sie auch mit finanzpolitischen Prioritäten. Nun gibt es zwei Arten von Innovation. Während im Rahmen inkrementeller Innovation bestehende Produkte oder Geschäftsmodelle optimiert oder bestehende Prozesse digitalisiert und verbessert werden, macht radikale Innovation einen Sprung in die Zukunft und stellt Bestehendes in Frage oder sogar auf den Kopf.
Radikale oder auch fundamentale Innovation hat einen langfristigen Horizont, was den unmittelbaren Nutzen manchmal schwierig erklär- und kaum greifbar macht. Umso wichtiger sind Diskussionen und Analysen, die sowohl Chancen als auch Risiken aufzeigen können. Genauso verhält es sich mit der Idee eines tokenisierten Frankens, also eines digitalen Abbilds des Frankens, das – anders als das heutige Buchgeld – auf der Blockchain-Technologie basiert und unter anderem programmierbar sowie direkt von einer Person auf eine andere übertragbar ist.
Grosses Bedürfnis in der Industrie
Parallel zur inkrementellen Innovation der Zahlungssysteme, wozu in den nächsten Jahren zum Beispiel die Einführung von Instant Payments zu zählen ist, verdient die Idee eines tokenisierten Frankens besonders aus den folgenden Gründen Aufmerksamkeit und Unterstützung.
Es besteht ein grosses Bedürfnis in der Industrie. Ein digitaler Franken könnte schnell und einfach zwischen Unternehmen und Kundschaft zirkulieren. Dadurch könnten Transaktionskosten gesenkt und Effizienz gesteigert werden. Insbesondere kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) könnten ihre Liquidität verbessern und ihr Geschäftswachstum fördern. Darüber hinaus sehen zukünftige Geschäftsmodelle unter dem Titel Pay per Use die Bezahlung von teilweise kleinsten Beträgen je nach Gebrauch der jeweiligen Dienstleistung vor, wobei diese Transaktionen auch direkt von den benutzten Geräten oder Maschinen ausgelöst werden können, die im sogenannten Internet of Things vernetzt sind.
Besonders für digitale Produkte oder Dienstleistungen wie Musik- oder Video-Streaming und digitale Inhalte wie E-Books oder Nachrichtenabonnements können solche Geschäftsmodelle eine gute Lösung sein. Für die Kundschaft ist es attraktiv, nur für das zu bezahlen, was tatsächlich genutzt wird, während Unternehmen auf diese Weise Einnahmequellen erschliessen und zusätzlichen Umsatz aus kleinsten Zahlungen generieren können, die sonst möglicherweise nicht realisierbar wären. Ein tokenisierter Franken kann die damit einhergehenden Herausforderungen, wie beispielsweise kleinste Stückelung, hohe Transaktionskosten und Komplexität bei der Abrechnung und der Verwaltung der Zahlungen, lösen.
Hohe Skalierbarkeit, niedrige Transaktionskosten
Die Schweiz hat mit der DLT-Gesetzgebung eine Vorreiterrolle eingenommen im Bereich der Distributed Ledger Technology, verkürzt auch als Blockchain bezeichnet. Hierzulande können deshalb Rechte wie beispielsweise Aktien von Gesellschaften in einer tokenisierten Form herausgegeben werden. Die DLT-Gesetzgebung hat sichergestellt, dass in der Schweiz besonders Rechtssicherheit in Bezug auf die Entstehung und die Übertragung solcher digitaler Vermögenswerte besteht und sie zukünftig auf lizenzierten und beaufsichtigten Börsen gehandelt werden können. Was aber noch fehlt, ist das sogenannte Cash Leg. Für einen Handel wird ein stabiles und sicheres Zahlungsmittel mit hoher Skalierbarkeit und niedrigen Transaktionskosten benötigt, mit dem die digitalen Vermögenswerte auf derselben (Blockchain-)Technologie, das heisst ohne Medienbruch, bezahlt werden können.
«Ein digitaler Franken könnte schnell und einfach zwischen Unternehmen und Kundschaft zirkulieren.»
Zu denken ist weiter an die Ausführung sogenannter Corporate Actions, also beispielsweise die Auszahlung von Dividenden auf Aktien, die vollständig automatisiert ablaufen könnte, wenn nicht nur die Aktien, sondern auch das Zahlungsmittel auf der Blockchain abgebildet wäre.
Die Anwendungsfälle für einen tokenisierten Franken gehen aber über solche einfachen Verhältnisse hinaus. So können in sogenannten Smart Contracts mithilfe der Blockchain-Technologie auch verschiedene, einander bedingende Schritte einer komplexen Transaktion abgebildet und sichergestellt werden, dass alle diese Schritte oder gar keiner ausgeführt werden. Vorstellbar ist also beispielsweise die vollständig automatisierte und rechtssichere Abwicklung einer Transaktion, die vorsieht, dass die Aktien eines Unternehmens auf den Käufer übertragen werden, wenn er den Kaufpreis hinterlegt hat, wobei dies nur dann geschehen soll, wenn die drei Refinanzierer des Käufers alle ihren Teil der Refinanzierung und der Käufer im Gegenzug dafür die jeweils ausgehandelte Sicherheit hinterlegt haben. Dieses Beispiel einer Escrow-Transaktion kann beliebig angepasst und erweitert werden.
Auch eine Frage der Souveränität
Das Bedürfnis nach einem stabilen und sicheren tokenisierten Zahlungsmittel ist vielerorts erkannt und wird im Ausland sowohl von Privaten als auch von Zentralbanken rasch vorangetrieben. Auch in der Schweiz zeugen bereits verschiedene Projekte von einem grossen Interesse. Erst kürzlich veröffentlichte beispielsweise die Schweizerische Bankiervereinigung ein Whitepaper zu ihrem Projekt für einen «Buchgeld-Token», und eine Initiative rund um die ehemalige SP-Politikerin Pascale Bruderer will einen Schweizer Stablecoin lancieren, um die Souveränität und die Innovationskraft der Schweiz zu bewahren.
Diese Projekte sind breit abgestützt. Und diese Abstützung oder, anders ausgedrückt, ein breites Verständnis und die Diskussion von Chancen und Risiken eines tokenisierten Frankens dürften für den Erfolg entscheidend sein. Die regulatorischen Hürden – auch davon gibt es in diesem Zusammenhang die eine oder andere – sind in der Schweiz vielleicht noch am leichtesten zu nehmen. In dieser Hinsicht signalisieren die Behörden jedenfalls Bereitschaft, die offenen Punkte anzugehen, wie der von Staatssekretärin Daniela Stoffel initiierte Roundtable zum Thema zeigt.
Bei einem tokenisierten Franken handelt es sich letztlich um eine Infrastrukturfrage, nämlich die nach der Zahlungsinfrastruktur der Zukunft, die die Bedürfnisse der Industrie 4.0 und der modernen Finanzwirtschaft zu erfüllen vermag und die die Werte der Schweiz mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen Kontrolle und Privatsphäre reflektiert. Es handelt sich gleichzeitig um eine Frage der nationalen Souveränität der Schweiz im Bereich des Zahlungsverkehrs, weshalb das erwähnte Bedürfnis der Wirtschaft nach einem verlässlichen tokenisierten Zahlungsmittel in der Denomination des Frankens erfüllt werden sollte.
Cornelia Stengel ist Rechtsanwältin für Finanzmarkt- und Datenschutzrecht. Sie wurde von der Schweizerischen Bankiervereinigung als Expertin für das oben erwähnte Projekt zum Buchgeld-Token beigezogen.
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Meinung – Tokenisierter Franken
Das Interesse an einem stabilen und sicheren tokenisierten Zahlungsmittel ist auch in der Schweiz gross. Letztlich geht es darum, die Zahlungsinfrastruktur der Zukunft aufzubauen.