Wenn das Schweizer Gesundheitswesen effizienter und effektiver gestaltet werden soll, müssen zwei Fragestellungen im Zentrum der Gesundheitspolitik stehen: Wird erstens das Richtige für den Patienten gemacht? Wird zweitens das Richtige auch richtig gemacht? Aus heutiger Sicht lautet die Antwort auf beide Fragen leider oft Nein.
Die Gesundheitskosten steigen unaufhörlich. Anzeichen für Optimismus gibt es wenig. Angesichts der steigenden Belastung der Haushalte muss es für sie umso frustrierender sein, dass es der Politik auch nach bald dreissig Jahren nicht gelingt, diese Kosten auch nur zu bremsen. Einer der Hauptgründe dafür ist die irrige Grundannahme, dass die Antwort auf die explodierenden Kosten mehr Staat und mehr Regulierung ist.
Dies führt zu substanzentleerten und überregulierten Vorlagen. Gut zu beobachten ist dies bei der momentanen Diskussion über das zweite Massnahmenpaket zur Kostendämpfung. Die vorgeschlagenen Massnahmen des Bundes greifen nicht, sondern führen teilweise sogar zu Mehrkosten. Von den ursprünglich vorgeschlagenen Massnahmen schafften es die mit einem tatsächlichen Kostendämpfungseffekt nicht einmal über die Vernehmlassung hinaus, und der Spareffekt der Massnahmen, die die Vernehmlassung überlebt haben, wird von der Verwaltung nicht beziffert. Dies aus einem einfachen Grund: Es gibt praktisch keinen.
Unsinnige Volksinitiativen
Wenn es dann einmal um Reformen mit Spareffekten geht, zeigt sich eine weitere Herausforderung in der Gesundheitspolitik: Schlanke Geschäfte werden aus Partikularinteressen unnötig aufgebläht. Zu nennen ist hier die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (Efas). Diese Reform – seit 2009 (!) im Parlament – wäre durchaus sinnvoll.
«Es ist eine irrige Grundannahme, dass die Antwort auf die explodierenden Kosten mehr Staat und mehr Regulierung ist.»
Aber während klar scheint, dass die unterschiedliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen durch Krankenversicherer und Kantone falsche Anreize setzt, haben die Kantone in der letzten Wintersession im Ständerat erwirkt, dass nun die Langzeitpflege in die einheitliche Finanzierung miteinbezogen werden soll. Es ist zu befürchten, dass zukünftige Kosteneinsparungen durch verbesserte Anreize und fortschreitende Ambulantisierung der Medizin gleich zunichtegemacht werden durch diese vor allem vom Ständerat angedachte Überwälzung der Kosten für die Langzeitpflege auf die prämienzahlenden Krankenversicherten.
Angesichts der verfahrenen Situation in der Gesundheitspolitik versuchen politische Parteien ihr Glück teils über den wahltaktischen Weg per Volksinitiativen. So will die SP mehr Steuergeld ins System pumpen und blendet so die Kostenseite vollkommen aus. Die Mitte hingegen möchte mit ihrer Kostenbremse-Initiative eine künstliche Deckelung einführen, die schlimmstenfalls zur Rationierung führen könnte.
Leistungserbringer haben falsche Anreize
Die beiden Initiativen beseitigen die Fehlanreize im System nicht. Es ist ein systemimmanenter Fehler unseres Gesundheitswesens, dass es in der Leistungstarifierung nicht in erster Linie auf Qualität, sondern auf Quantität ausgelegt ist. Es wird vorrangig die Menge vergütet, während die Qualität zwar vorausgesetzt, aber kaum gemessen und kontrolliert wird. Dies führt dazu, dass Leistungserbringer einen Anreiz haben, möglichst viele Therapien und medizinische Leistungen durchzuführen.
Daran ändert auch der bestehende Fachkräftemangel im Grundsatz nichts. Die Schweiz braucht ein Vergütungssystem, das auf Qualitätswettbewerb (konkret Indikations- und Outcomequalität) und Transparenz setzt sowie griffige Anreize schafft, um die heute weit verbreitete Über- und Fehlversorgung zu vermeiden beziehungsweise zu eliminieren.
Thomas J. Grichting ist Generalsekretär der Krankenkasse Groupe Mutuel.
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Meinung – Warum in der Gesundheitspolitik zu oft an den falschen Hebeln gezogen wird
Das schweizerische Gesundheitswesen braucht ein Vergütungssystem, das auf Qualitätswettbewerb und Transparenz setzt sowie Anreize schafft, um der Über- und der Fehlversorgung zu begegnen.