DekantiertWeinkritiken im Laufe der Zeit
Wie ein Anwalt aus Maryland die Beurteilung von Weinen revolutionierte.

Bis vor wenigen Jahrzehnten folgte die Weinbeurteilung einem etablierten Schema, das auf Vergleichen und Lernen beruhte. Weinstudenten erforschten die klassischen Stile und lernten zu unterscheiden, was einen grossen von einem gewöhnlichen Wein unterscheidet.
Dabei fand die Wertschätzung immer auf zwei Ebenen statt. Bei der ersten, eher sinnlichen Ebene wird ein Wein getrunken und dann über den empfundenen Genuss berichtet. Die zweite Ebene ist die erlernte. Menschen haben schnell gelernt, was gute Beispiele für einen Bordeaux, einen weissen Burgunder oder einen Champagner sind. Selbstverständlich überschneiden sich die beiden Ebenen der Wertschätzung.
Dieses zwei Ebenen umfassende Beurteilungssystem ist aber immer noch elitär, denn es bedingt Weinkenntnisse, die wiederum einer neutralen Beurteilung im Wege stehen können.
Das System wurde vor rund vierzig Jahren vom bis heute weltweit mächtigsten Weinkritiker in seinen Grundmauern erschüttert. Robert Parker war ein Anwalt aus Maryland mit einer Leidenschaft für Wein. 1978 begann er, den «Wine Advocate» herauszugeben, ein einfaches Magazin, das den Weinmarkt revolutionieren sollte.
Parker verstand sich als unabhängiger Anwalt der Konsumenten, nicht des Weinadels. Sein Geniestreich war die Bewertung der Weine auf einer leicht verständlichen 100-Punkte-Skala, bei der jeder Wein unter 80 Punkten nicht trinkwürdig und jeder über 90 etwas Besonderes war.
Mit Parker wurden die Konsumenten mündig. Verkostungsnotizen sind zwar ein wichtiger Teil des «Wine Advocate», aber es ist letztlich die absolute Punktzahl, die die relative Qualität transparent macht. Punkte helfen denjenigen, die von der Komplexität der Weinbeschreibungen eingeschüchtert sind.
Sie bringen auch ein Element des Wettbewerbs in die Welt des Qualitätsweins und ermöglichen es unbekannten, aber überdurchschnittlich guten Weinen, sich mit den Klassikern zu messen. Statt sich über Generationen hinweg einen Ruf zu erarbeiten, genügt nun eine Reihe von hohen Bewertungen, um in die Elite der Weinwelt vorzustossen.
Parker hat die Art und Weise, wie Qualität gemessen wird, neu definiert. Ein Bordeaux-Wein wird nicht mehr als Bordeaux-Wein bewertet, sondern als Rotwein. Somit kann er plötzlich anhand seiner Punktzahl direkt mit einem Napa Valley Cabernet oder einem führenden Hermitage aus der nördlichen Rhône verglichen werden. Die Punktzahl wird zur effektiven Definition von Qualität.
Die Konsumenten haben Parker-Punkte als Abkürzung für ihre Kaufentscheidung entdeckt, aber auch der Weinhandel hat sie als Verkaufsinstrument für nützlich befunden. Die Bewertungen erleichtern das Verständnis und den Kauf von Weinen und sind damit ein bedeutender Faktor bei der Erschliessung neuer Märkte für Qualitätsweine, insbesondere in der Neuen Welt.
Aber ist eine simple Parker-Punktzahl auch wirklich ein gültiges Urteil über die Weinqualität? Konsumenten und Händler sind offensichtlich dieser Meinung, und in einigen Weinmärkten ist eine gute Bewertung eine grundlegende Voraussetzung für einen hohen Preis.
Jedoch hat sich die Art und Weise, wie Parkers Bewertungen von vielen verstanden und genutzt werden, verbunden mit seinem enormen Einfluss auf den Weinmarkt, nicht nur positiv auf die Weinvielfalt ausgewirkt.
Kritiker verwenden dazu gerne den Begriff der «Parkerisierung» und meinen damit, dass der Punkte-Hype zu einer immer einheitlicheren Rotweinstilistik mit körperreichen, alkoholstarken und im Eichenfass gereiften Tropfen geführt hat.
Das dürfte ein Quantum Wahrheit enthalten, denn bei Weissweinen ist der Trend zu einer solchen Internationalisierung mit Ausnahme des Chardonnay bis heute weniger ausgeprägt.
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