Grenzen der GeldpolitikWenn alle Zinsen kassieren, können die Notenbanken einpacken
Im Euroraum steht der Unternehmenssektor kurz davor, zum Nettozinsempfänger zu werden. Dies dürfte die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank konterkarieren.

Das Jahr hat für die Notenbanker in Nordamerika und Europa gar nicht gut begonnen. Nein, damit sind nicht die ersten Bankpleiten infolge der rapiden Zinserhöhungen gemeint, die gerade die Schlagzeilen bestimmen. In den USA tut das Federal Reserve (Fed) jedenfalls alles, damit die Geldhäuser nicht zu Notverkäufen von Anleihen mit enormen Preisnachlässen gezwungen sind. Das Fed nimmt erstmalig Obligationen, die die Banken halten, ohne jeden Abschlag als Sicherheit für frisch verliehenes Cash entgegen.
Die Hoffnung ist also berechtigt, dass die Furcht vor einer neuen Finanzkrise schnell wieder verfliegt. Damit dürfte die Inflation schnell wieder die Tagesordnung bestimmen. Jedoch sieht es da für die Notenbanker gar nicht gut aus. Irgendwie hoffen sie schon lange darauf, dass ihre scharfen Zinserhöhungen seit 2022 am Ende die Nachfrage der Unternehmen und Privathaushalte so weit dämpfen werden, dass sie die Inflation abbremsen.
Kerninflation im Euroraum zieht an
Nur reagieren die Volkswirtschaften bislang ganz anders als es die Lehrbücher nahelegen: Die Teuerung hat sich längst in den Preisen für Güter und Dienstleistungen festgefressen, die nichts mit Energie und Lebensmitteln zu tun haben. Dies zeigen die Kernraten der Inflation, die Energie und Lebensmittel ausschliessen und im Februar in Europa nochmals gestiegen sind. Und das, obwohl die Haushalte im Euroraum ihren Konsum bereits Ende 2022 zurückgefahren haben.
In den USA schwächt sich zwar das rapide Jobwachstum nach dem Coronaeinbruch ab: Aber mit mehr als 3% in der Jahresrate scheint eine Rezession vorerst noch immer wenig akut zu sein, auch wenn die Investitionen der Unternehmen erlahmen. Zugleich neigen sich in den USA und in Europa die Ersparnisse aus den Pandemiezeiten dem Ende zu. Der schwächelnde Konsum im Euroraum würde eigentlich für nachlassende Preisanstiege sprechen. Doch weit gefehlt.
In der Profit-Preis-Spirale gefangen
Egal, ob USA oder Europa, bislang ist der Inflationsschub seit 2021 vor allem durch die globalen Lieferengpässe und die Energiekrise getrieben. Viele Unternehmen haben diesen Kostenschock aber sehr gut weggesteckt (vgl. Grafik). Im Schnitt konnten sie ihre Margen durch Preiserhöhungen nicht nur retten, sondern sogar ausweiten.

Das würde aber bedeuten, dass die Unternehmen auch die steigenden Zinsen mehr als wegstecken können. Warum sollen sie ihre Nachfrage einschränken, wenn der gefürchtete Margendruck ohnehin ausbleibt? Gerade in der Eurozone hilft den Unternehmen, dass die Löhne jetzt im Vergleich zu den USA mit Verzögerung auf die Inflation reagieren und auch stärker anziehen und damit die Kundennachfrage stabilisieren.
Die staatliche Unterstützung der Konsumentennachfrage mag jetzt wie die Ersparnisse aus der Pandemie zwar wegfallen. Wenn aber dafür die Löhne stärker steigen, ist dies der beste Nährboden dafür, dass sich die Profit-Preis-Spirale weiterdrehen kann und die Löhne darauf reagieren. Die Ökonomin Isabella Weber hat dazu in einem brandneuen Papier untersucht, warum grosse Unternehmen nach Jahren der Niedriginflation in Notlagen ihre Preise relativ locker erhöhen können.
Zinserhöhungen können Inflation anheizen
Es ist vielleicht noch zu früh, dies zu beurteilen, es könnte aber eine Dynamik eintreten, die genau zum Gegenteil dessen führt, was die Europäische Zentralbank (EZB) im Sinn hat. Wenn das skizzierte Preisverhalten der Unternehmen auch im Zinsanstieg weitergeht, könnte die EZB damit sogar die Inflation noch anheizen.
Nun mögen die Notenbanker einwenden, dass die Wirkung der Zinserhöhungen erst nach einem Jahr vollständig durchschlägt. Das wäre im Fall der EZB also ab Sommer. Nur: Welche Erfahrung haben die modernen Notenbanken (und all die Modelle der Ökonomen) überhaupt, wenn es um das Bekämpfen einer Profit-Preis-Spirale geht?
Schliesslich war die Inflation der Sechziger- und Siebzigerjahre in den USA und in Europa tatsächlich eine Lohn-Preis-Spirale. Die Preiserwartungen der Gewerkschaften waren nicht zuletzt im Ölpreisschock am Ende massgeblich für den Inflationsschub. Dies ist heute in den USA und im Euroraum aber nicht der Fall, wo der Preisdruck wie im Zweiten Weltkrieg von den Gewinnen ausgeht.
Unternehmen werden zu Zinsempfängern
Hinzu kommt noch eine Entwicklung der vergangenen Jahre, die die Wirkung der Zinserhöhung verblassen lässt: Die Unternehmen ausserhalb der Finanzbranche waren über Jahrzehnte die wichtigste Quelle für Zinszahlungen in kapitalistischen Volkswirtschaften. Für Investitionen in den Kapitalstock nahmen die Unternehmen Darlehen auf, die sie aus den Überschüssen ihres Geschäftes bedient und getilgt haben.
Allerdings haben es einige (vor allem die grossen) Unternehmen mit ihren Finanzgeschäften mittlerweile so weit getrieben, dass der gesamte Unternehmenssektor im Euroraum kaum noch Zinsen zahlt. Natürlich zahlen viele kleinere Produzenten aus dem Mittelstand noch immer unter dem Strich Zinsen. Doch die Zinseinnahmen der Grossunternehmen sind bereits so gross, dass der gesamte Unternehmenssektor im Euroraum kurz davor steht, zum Nettozinsempfänger zu werden (vgl. Grafik).

In Deutschland ist dies bereits seit 2008 der Fall und Frankreich kam als weitere grosse Eurovolkswirtschaft bereits im vergangenen Sommer hinzu. Beide Länder stehen für knapp 50% der Wirtschaftsleistung im Euroraum. Das bedeutet aber: Wenn nun vor allem die grossen Unternehmen durch die Zinserhöhungen der EZB ihr Finanzergebnis aufbessern können, haben sie erst recht keinen Anlass, ihre Nachfrage zu drosseln.
Grossunternehmen geben den Ton an
Wenn die grossen Unternehmen aber den Ton in einer Branche angeben, werden kleinere Unternehmen, also die mit den Zinskosten, sich dem Trend nicht entziehen können und im Zweifel dann wohl eher sinkende Gewinnmargen hinnehmen müssen. Damit wäre aber eins auch klar: Die positiven Nettozinseinkommen im Unternehmenssektor konterkarieren die Zinspolitik der EZB.

Ein Blick auf Frankreich ist besonders aufschlussreich, weil hier das Statistikamt Eurostat Daten seit 1980 vorliegen hat. Für den Rest der Eurozone reichen die Daten leider nur bis 1999 zurück. Bei den französischen Unternehmen ist schön zu sehen, wie sie als wichtigste Quelle des Zinsstroms in der Volkswirtschaft über die Jahrzehnte an Bedeutung verlieren (vgl. Grafik). Dafür wurde der Staat immer wichtiger als Verteiler des Zinsstroms.

Was für Frankreich gilt, ist auch im Euroraum zu beobachten (vgl. Grafik). Auf Sektorebene gibt es die Zinszahlungen nur noch zwischen dem Finanzsektor (Banken, Versicherungen, Investmentfonds) als Empfänger und dem Staat als Zahler. Das heisst, ohne den Staat läuft nichts mehr, wenn es um den Zinsfluss in einer modernen Volkswirtschaft geht.
Staat verteilt die Zinsen
Am Ende werden die Zinsen also weniger als in früheren Zeiten über die Gewinne finanziert, sondern über Steuern von Privathaushalten und Unternehmen. Oder wie seit Jahren das Beispiel Deutschland zeigt: Auch aus dem Ausland fliessen die Zinseinnahmen – dank der grossen Leistungsbilanzüberschüsse der vergangenen Jahre (vgl. Grafik).

Profiteure des Zinsflusses sind auf Sektorenebene aber weiterhin die Kunden und die Eigentümer der Banken, Versicherungen und Fonds. Da aber der Unternehmenssektor als Zinsquelle ausfällt, bleibt dennoch eventuell weniger Spielraum für die Notenbank, über höhere Zinsen die Inflation zu dämpfen.

Zusammen mit der Profit-Preis-Spirale ist dies mehr als beunruhigend für die EZB. So zeigt doch gerade das Beispiel Italiens, was dem gesamten Euroraum drohen könnte (vgl. Grafik): Die Löhne stiegen Ende 2022 bereits stärker und tragen deutlich kräftiger zur Inflation bei. Die Unternehmen gleichen jedoch auch diesen Kostenschub über höhere Gewinnmargen aus. Dank und trotz der höheren Löhne bleibt es also bei einer Profit-Preis-Spirale.
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