Zukunft der BiotreibstoffeWenn das Auto Essen verbrennt
Zwischen Teufelszeug und Hoffnungsträger – die Nachfrage nach Treibstoff aus Mais, Zuckerrohr und weiterer Biomasse steigt.

Für die einen sind sie der einzige Weg, den Transportsektor klimafreundlicher zu machen, für die anderen führen sie zu mehr Hunger auf dieser Welt: Biotreibstoffe. Dieser Zielkonflikt wird auch «Food vs. Fuel»-Debatte genannt.
Heiss diskutiert wurde das Thema Ende der Nullerjahre, als die USA ihre Biotreibstoffproduktion hochfuhren, obwohl die Welt in eine Lebensmittelkrise schlitterte: Immer mehr Mais landete im Tank statt auf dem Teller, was dazu beitrug, dass Tortillas und andere Grundnahrungsmittel teurer wurden. Dank der damaligen Expansion sind die USA heute der wichtigste Produzent und Konsument von Biotreibstoffen (vgl. Grafik).

Nun steht in den USA eine Neuauflage der bereits siebzehn Jahre alten Regeln zur Verwendung von Biotreibstoffen an. Die Vorzeichen deuten auf eine erneut emotionale Debatte hin: Die Folgen der Coronapandemie, der russische Krieg in der Ukraine, extremes Wetter und Zinserhöhungen haben die Preise von Lebensmitteln nach oben getrieben – keine gute Grundlage, um mehr Ackerfläche mit Treibstoff statt Essen zu bebauen.
Doch die vergangene Woche präsentierten Vorschläge der Biden-Regierung zum Renewable Fuel Standard ernten Kritik von der anderen Seite: Sie gingen zu wenig weit. Der Verbrauch von Biotreibstoff soll bis 2025 um nur 8,6% erhöht werden, viel weniger, als erwartet worden war. Die Aktienkurse von Bunge und Archer-Daniel-Midlands verloren deutlich, und auch die Futures-Preise von Mais gaben nach (vgl. Grafik). Die Lobbyisten in Washington von den verschiedenen vom Plan betroffenen Unternehmen haben nun ein halbes Jahr Zeit, die definitive Fassung der neuen Biotreibstoffvorschriften zu beeinflussen – bis zum 14. Juni müssen diese verabschiedet werden.


Begriffliche Abgrenzung
In der weitesten Definition ist jeder Treibstoff, der aus Biomasse hergestellt wird, ein Biotreibstoff. Im globalen Energiemix deckt Biomasse ungefähr 10% des Bedarfs, allerdings ist ein grosser Teil davon Holz oder Abfall, der vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern verbrannt wird.
Enger gefasst – und wie auch in diesem Artikel verwendet – bezeichnen Biotreibstoffe aus Biomasse hergestellte Treibstoffe, mit denen, statt mit von fossilen Energieträgern, Autos, Lastwagen und Maschinen, die zuvor nur mit Benzin oder Diesel liefen, betrieben werden können. Sie werden in Statistiken zum globalen Energiemix jeweils den «weiteren erneuerbaren Energien zugerechnet», da ihr Anteil gering ist. Für dieses Jahr wird eine Produktionsmenge von 171 Mrd. Litern Biotreibstoffen prognostiziert – so viel wie noch nie zuvor. Gemessen am täglichen Erdölverbrauch der Welt reicht das gerade mal für elf Tage.
Auf dem Feld haben die Biotreibstoffe jedoch Gewicht. Beinahe die Hälfte des geernteten Zuckerrohrs wird zu Treibstoff weiterverarbeitet, wobei der Anteil von Jahr zu Jahr schwankt – die Raffinerien in Brasilien können sowohl Süssstoff als auch Treibstoff herstellen, je nach Preissituation (vgl. Grafik).

Im Transportsektor, wo Biotreibstoffe mehrheitlich zum Einsatz kommen, decken sie gerade mal 3,6% des Energiebedarfs. Sollen die Treibhausgasemissionen bis 2050 global netto null betragen, muss der Anteil der Biotreibstoffe bis 2030 auf mindestens 15% steigen und der von fossilem Öl fallen, schreibt die IEA (vgl. Grafik).

Kapazitätsausbau nötig
Innerhalb der Biotreibstoffe wird unterschieden zwischen Bioethanol und Biodiesel. Bioethanol wird aus Zuckerrohr, Mais oder anderen stärkehaltigen Pflanzen hergestellt. Während es theoretisch Benzin ganz ersetzen könnte, wird es praktisch als sogenannter Blend eingesetzt, also als Beimischung zu herkömmlichem Benzin. Grund dafür sind die Verfügbarkeit der Pflanzen sowie die Beschaffenheit der Motoren. Üblich sind Blends von 10 bis 20%, wobei Indonesien zurzeit prüft, ob künftig ein Anteil von 40% Bioethanol im Treibstoff vorgeschrieben werden soll – einerseits um die eigenen Palmölreserven zu verwerten, andererseits um weniger fossile Energie zu importieren.
Biodiesel wird primär aus Ölsaaten wie Soja hergestellt, aber vermehrt auch aus Altöl oder tierischen Fetten (vgl. Grafik). Altöl ist ein sogenannter sekundärer Biotreibstoff, während die direkte Verwendung von Mais, Sojabohnen oder anderen Pflanzen als primärer Biotreibstoff gilt. An sekundärem Biotreibstoff wird geforscht: Abfall, Algen und andere Biomasse sollen Autos zum Laufen bringen.

Verschiedene Unternehmen sind in diesem Bereich aktiv. So auch die Schweizer Clariant, die Ethanol aus Zelluloseabfällen der Landwirtschaft produziert. Solche tatsächlich nachhaltige Produktion ist aber bis jetzt erst ein Tropfen im grossen Fass der direkt aus Essen produzierten Treibstoffe. «Regierungen sollten vermehrt auf die zweite Generation setzen und gleichzeitig die Expansion der ersten Generation stoppen», fordert Elena Tedesco, die als Portfoliomanager bei Vontobel auf nachhaltige Landwirtschaft fokussiert.
Luftschloss des nachhaltigen Fliegens
Ein weiterer Wachstumssektor der Biotreibstoffe ist die Luftfahrt. Wenn das Fliegen umweltfreundlicher werden soll, dann muss die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert werden. Während auch an elektrischen, solar- und wasserstoffbetriebenen Flugzeugen getüftelt wird, setzen praktisch alle Beteiligten auch auf Biotreibstoffe.
Während vor einigen Jahren nur eine Handvoll Airlines an «nachhaltigem» Flugzeugtreibstoff interessiert gewesen sei, meldeten heute gar Budget-Airlines Interesse an, sagte Jeff Ovens in einem Interview mit BNEF – er arbeitet für Fulcrum BioEnergy, ein Unternehmen, das aus Haushaltsabfällen Treibstoff für Flugzeuge herstellt. Momentan sind die Kosten des komplexen Herstellungsprozesses aber noch zu hoch, als dass es sich wirtschaftlich lohnen würde, mit tatsächlich nachhaltigem Treibstoff zu fliegen. Kohlenstoff auszustossen, müsse teurer werden, sagt Ovens.
Boeing will bis 2030 ein Flugzeug auf den Markt bringen, das mit 100% Biotreibstoffen fliegt. Dazu muss aber das Angebot erhöht werden, auch wenn grosse Unternehmen wie Shell in Kapazitäten investieren: Zurzeit decken nachhaltige Treibstoffe weniger als 1% des Treibstoffbedarfs der Luftfahrt.
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