Interview mit Accelleron-CEO «Wir haben eine Schlüsselrolle bei der Energiewende»
Grosse Dieselmotoren lassen sich nur beschränkt durch alternative Antriebe ersetzen. Daher erwartet Daniel Bischofberger auch langfristiges Wachstum für den Turboladerhersteller Accelleron.

Seit Anfang Oktober wird Accelleron an der Schweizer Börse gehandelt. Damit ist das Unternehmen der jüngste Neuzugang, hat aber als ehemalige ABB-Tochter schon eine lange Geschichte. CEO Daniel Bischofberger verspricht doppelt so schnelles Wachstum wie der Markt. Das Servicegeschäft sorgt für hohe Margen.
Herr Bischofberger, wie haben Ihre Kunden darauf reagiert, dass sie nicht mehr von der altehrwürdigen ABB, sondern vom Börsenneuling Accelleron bedient werden?
Es braucht immer etwas Zeit, um einen neuen Namen zu etablieren, vor allem bei so einer langen Tradition wie wir sie haben, aber nach ein paar Monaten haben die Kunden das verstanden.
Könnten sie denn überhaupt zu anderen Anbietern wechseln?
Doch, doch, bei Neuprodukten schon. Da gibt es durchaus Konkurrenz. Es gibt auch Motorenbauer mit eigenen Turboladern. Die meisten Motorenhersteller haben jedoch keine eigenen Lader und möchten den Turbolader auch nicht bei anderen Motorenbauern kaufen. Darum kommen sie zu uns, denn wir sind vollkommen unabhängig, da wir keine Motoren bauen.
Das heisst, beim Neugeschäft entscheiden die Motorenhersteller, welches Aggregat eingebaut wird?
Je kleiner ein Motor ist, desto eher entscheidet der Motorenbauer über die Ausstattung. Bei Zweitaktmotoren, die die grossen Frachtschiffe antreiben, bestimmt oft der Endkunde, sprich die Reederei, ob ein Turbolader von Accelleron oder ein anderes Fabrikat eingebaut werden soll. Die Reeder berücksichtigen die Kosten über die gesamte Lebensdauer, die Motorenbauer dagegen nur die initialen Kosten.
Beim Service sind die Kunden dann aber an Accelleron gebunden?
Im Prinzip kann jeder, der einen Motor mit unseren Turboladern einsetzt, seinen Servicepartner frei wählen. Aber fast 100% der Besitzer von Schiffen und Kraftwerken, wo unsere Produkte in Betrieb sind, entscheiden sich auch beim Service für uns.
Warum?
Wir haben weltweit über hundert Servicecenter. Das hat sonst niemand. Wann immer ein Kunde ein Problem mit einem unserer Turbolader auf einem Schiff hat, kann er sicher sein, dass wir im nächsten Hafen bereitstehen. Unser zweites Plus ist unser Standort in Baden, wo wir permanent Ersatzteile im Wert von über 100 Mio. Fr. für den globalen Bedarf bereithalten.

Was hat ein Reeder, dessen Schiff in Schanghai liegt, von einem Ersatzteil in Baden?
Wir garantieren die Lieferung der Teile innerhalb von achtundvierzig Stunden in jeden Hafen der Welt. Das ist eine Art Versicherung für die Reedereien, denn die Stillstandskosten von Schiffen sind sehr hoch. Ein ungeplanter Stillstand kann leicht mehr als 100'000 $ pro Tag kosten. Zudem reduzieren unzureichend gewartete Turbolader die Effizienz des Antriebs und treiben die ohnehin schon horrenden Brennstoffkosten weiter in die Höhe. Diese können leicht bei 10 bis 20 Mio. $ pro Jahr und Schiff liegen und machen immerhin ungefähr 40 % der gesamten Kosten über die Lebensdauer eines Schiffs aus. Das Wenige, was sich über den Lebenszyklus eines Schiffes gerechnet mit einem Fremdservice sparen liesse, vielleicht im tiefen sechsstelligen Bereich, rechtfertigt keine solchen Risiken.
Sind Turbolader für Verbrennungsmotoren in Zeiten der Energiewende nicht vom Aussterben bedroht?
Frachtschiffe werden wahrscheinlich nie batterieelektrisch angetrieben werden können. Die dafür notwendigen Batterien würden die gesamte Frachtkapazität in Anspruch nehmen. Auch motorgetriebene Generatoren wird es zur Unterstützung der Stromnetze weiterhin brauchen. Für beide Anwendungen bleiben Verbrenner die erste Wahl.
«Wenn die Motoren synthetische Kraftstoffe verbrennen, die mit Solar- oder Windstrom aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt werden, können wir sogar Netto-Null erreichen.»
Das tönt jetzt nicht gerade nachhaltig.
Wenn die Motoren synthetische Kraftstoffe verbrennen, die mit Solar- oder Windstrom aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt werden, können wir sogar Netto-Null erreichen. Wir erwarten, dass unsere Endmärkte durch verschiedene alternative Kraftstoffe dekarbonisiert werden.
Aber wozu braucht es dann noch Ihre Produkte?
Synthetische Brennstoffe sind heute etwa achtmal so teuer wie fossile Brennstoffe. Wir rechnen damit, dass diese selbst nach einem globalen Ausbau der notwendigen Infrastruktur immer noch zwei- bis dreimal teurer sein werden. Das heisst, der Wirkungsgrad eines Antriebs wird auch in einer Welt, wo die Primärenergie in Form von Wind und Sonne umsonst ist, immer noch sehr wichtig sein. Wir haben eine Schlüsselrolle bei der Energiewende.
Bis das so weit ist, wird es eine Weile dauern. Was geschieht hier und heute?
Schiffe sind zwanzig bis dreissig Jahre in Betrieb. Wenn wir also im Jahr 2050 die Netto-Null erreichen wollen, müssen die Schiffe heute schon so gebaut werden, dass sie einmal mit synthetischen Brennstoffen fahren können. Daher werden vermehrt Motoren für zwei Brennstoffe eingebaut, zum Beispiel für Diesel und Bio-Methanol. Bei gasbetriebenen Schiffen, die wegen ihres besseren Emissionsverhaltens ein Zwischenschritt sind, haben wir heute einen Marktanteil von etwa 50%, das sind zehn Prozentpunkte mehr als bei den herkömmlichen Antrieben.
Accelleron gibt viel Geld für Forschung und Entwicklung aus. Was machen Sie mit dem Geld?
Hier in Baden arbeiten fast zweihundert Ingenieure in der Forschung und Entwicklung. Vergangenes Jahr haben wir rund 7% vom Umsatz in R&D investiert, was ca. 50. Mio. Fr. entspricht. Die Entwicklungsziele sind bessere Effizienz, bessere Materialien, bessere Produktionstechnologie, zum Beispiel 3-D-Druck. Hinzu kommen der Betrieb unseres Testcenters und die Produktpflege für die 180’000 installierten Systeme. Auch die müssen verbessert werden, um die Effizienz zu steigern und die Emissionen zu verringern. Es geht fast immer darum, noch mehr Wirkungsgrad rauszuholen. Wenn die Brennstoffe dreimal so teuer werden, dann lohnt sich das erst recht.
Spielt das Thema Digitalisierung eine Rolle?
Selbstverständlich. Wir haben ein Produkt lanciert, mit dem wir die Turbolader via Satellitenverbindung online überwachen und so Verträge mit vorausschauendem Service und nutzungsbasierten Preismodellen abschliessen können. Ein anderes Produkt ist eine selbst entwickelte Software, mit der der Wirkungsgrad eines Motors und seine Emissionen überwacht werden.
Und das kann Accelleron besser als die Motorenhersteller selbst?
Unsere Software ist herstellerunabhängig. Das heisst, ein Reeder, der auf seinen Schiffen viele unterschiedliche Motoren im Einsatz hat, kann die gesamte Flotte mit der gleichen Software überwachen und den Wirkungsgrad im Sinne der Energietransformation optimieren.
Ist Innovation ein Wachstumstreiber?
Wir gehen davon aus, dass unser Markt in den nächsten fünf bis sieben Jahren 1 bis 2% wächst. Wir wollen doppelt so schnell wachsen.
Und wie?
Wir wollen klar Marktanteile gewinnen. Das können wir schaffen, weil unsere Turbolader einen höheren Wirkungsgrad des Antriebs ermöglichen als die der Konkurrenz.

Denken Sie auch an akquisitorisches Wachstum?
Wir wollen die Möglichkeiten nutzen, die uns der Energiewandel bietet. Da sind Akquisitionen eine Option. Dabei geht es aber nicht in erster Linie um den Bereich Turbolader, denn da sind wir als Marktführer selbst stark genug, ohne Akquisition zu wachsen. Da unsere Kundenbeziehungen sehr eng sind, wollen wir in erster Linie schauen, was wir ihnen zusätzlich liefern können. Infrage kommen Komponenten oder Produkte für den Antriebsstrang, die hochtechnologisch sind und Service benötigen, oder auch um Digitallösungen, die unser Kerngeschäft stützen und den Kunden beim Energiewandel helfen.
Geht es etwas konkreter?
Ich kann jetzt noch nicht konkreter werden. Wir sehen uns einiges an und gehen dabei selektiv, diszipliniert und geduldig voran.
Erwägen Sie eine Expansion in Richtung Strassenfahrzeuge?
Nein. Hochleistungsturbolader für Grossmotoren im Marine- und Energiesektor sind klar unser Kerngeschäft. Bergbau-, Land- und Baumaschinen laufen mit kleineren Dieselmotoren, deren Turbolader aus dem Lastwagenmarkt stammen und entsprechend tiefere Anforderungen haben. Aber die Anforderungen ändern sich dank der Energiewende langsam. Niedrige Emissionen und kleinere Motoren benötigen grösseren Ladedruck. Da entstehen gewisse Chancen für uns.
«Die Kosten sind gestiegen und werden im nächsten Jahr ähnlich weiter steigen, aber mit einem anderen Mix.»
Zurück in die Gegenwart. Wie geht es Ihrer Versorgungskette?
Natürlich haben auch wir Herausforderungen. Wir hatten Verzögerungen, aber unsere Kunden auch. Wir haben als Zulieferer der Motorenbauer nie etwas stillgelegt. Mittlerweile hat sich die Lieferkette aber einigermassen stabilisiert. Die Kosten sind gestiegen und werden im nächsten Jahr ähnlich weiter steigen, aber mit einem anderen Mix. Die Energie- und die Lohnkosten werden weiter steigen, die Rohmaterialien dagegen werden wieder billiger.
Welche Komponenten sind besonders kritisch?
Gussgehäuse aus Asien. Wir haben aber jetzt die Lieferkette diversifiziert und bestellen die Gehäuse auch in Indien und in Europa.
Ihr zweitgrösster Aktionär ist Cevian Capital, die ihren Anteil zuletzt auf 5,1% erhöht hat und als aktivistisch gilt. Macht Sie das nervös?
Mich freut das Vertrauen jedes Aktionärs. Seine Entscheide kann und will ich aber nicht kommentieren. Ich kann aber noch immer sehr gut schlafen.
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