Gelesen«Wir waren glücklich hier»: Afghanistan nach dem Sieg der Taliban – ein Roadtrip
Der langjährige Afghanistankorrespondent Christoph Reuter nimmt den Leser mit auf seine abenteuerlichen Reisen durch ein Land im Umbruch.

Im August 2021, nach zwanzig Jahren Krieg und Blutvergiessen, übernehmen die Taliban praktisch gewaltlos die Macht in Afghanistan. Die westlichen Truppen haben kaum das Land verlassen, und schon herrscht die islamistische Organisation, die sie so lange bekämpft haben, wieder über die 40 Mio. Afghanen.
Viele von ihnen versuchen zu fliehen, zuerst über den Flughafen, später über die Landesgrenzen. In die andere Richtung unterwegs ist Christoph Reuter, der für das deutsche Magazin «Der Spiegel» während des langen Krieges aus Kabul berichtet hat. Er will eine im Westen wenig bekannte Veränderung nutzen: Plötzlich ist es wieder möglich, Regionen zu bereisen, die für Ausländer jahre- und jahrzehntelang Sperrgebiet gewesen sind. Denn die Taliban, die Reisen so gefährlich gemacht haben, kontrollieren nun das ganze Land – und geben sich für einmal gemässigt.
Wenn westliche Kommentatoren Bücher über ihre Erfahrungen in Krisengebieten schreiben, widmen sie ihren eigenen Gedanken manchmal mehr Platz als den Menschen, die tatsächlich mit der Krise leben müssen und nicht einfach abreisen können. Reuter begeht diesen Fehler nicht. Viele der absurden Begegnungen, deren Schilderung das Buch so unterhaltsam macht, rühren davon, dass er als deutscher Journalist in traditioneller afghanischer Kleidung die Taliban immer wieder aufs Neue verwirrt.
Meisterhaft sind seine Verknüpfungen der Geschichte Afghanistans – die des vergangenen Jahrhunderts und die des zwanzigjährigen Krieges im Land – mit dem Hier und Jetzt. Das Ordnungsmoment von Reuters Narrativ ist nicht chronologisch, sondern gebunden an den Ort, den er gerade besucht und vor fünf, zehn, fünfzehn Jahren schon einmal besucht hat.
So vermittelt Reuter in kurzweiligen Passagen sein tiefes Wissen und Verständnis von Kultur, Geschichte und Gepflogenheiten des Landes und seiner Bewohner – wobei die Frauen bereits während Reuters Reise praktisch gänzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden. Heute dürfen Afghaninnen weder studieren noch für die Vereinten Nationen arbeiten. Auch Reuters Reise wäre heute nicht mehr möglich, denn in ihrer neuen Herrschaft setzen die Taliban bald auf Repression und Unterdrückung.
Fehler gefunden?Jetzt melden.