Aufgefallen in BarcelonaWurm aus dem Automaten
In der Nähe des berühmten Strands La Barceloneta findet sich ein aussergewöhnliches 24-Stunden-Angebot.

Automaten decken Grundbedürfnisse, auf die man vierundzwanzig Stunden lang Zugriff haben muss. Dazu gehören Würmer – zumindest in Barcelona: für Fischer und Freunde des Angelsports.
Mit etwas Mühe steckt ein älterer Herr eine raue Hand durch das Gitter des am Sonntagnachmittag längst geschlossenen Fischerladens. Ich bleibe stehen – wieso will der Mann am helllichten Tag ausgerechnet in diesen Laden einbrechen? Eine kurze Google-Suche zeigt, dass eine gute Angelausrüstung um die 500 Euro kosten kann. Die Ware im Angelladen ist also durchaus wertvoll, trotzdem leuchtet mir der ungeschickte Raubversuch nicht ein. Da merke ich, dass der Herr nicht versucht, das Geschäft aufzubrechen, sondern an einem Automaten rumhantiert. Dieser steht hinter dem Gitter und sieht ähnlich aus wie die Selecta-Automaten, die an Schweizer Bahngleisen stehen.
Als der Mann sich mit seiner Ausbeute, sichtlich zufrieden, vom Automaten entfernt, stechen mir die etwas unappetitlichen Wurmbilder ins Auge. Rivella, Kägifret und Kondome verkauft dieser Automat nicht, sondern lebendige Köder, auf Spanisch «Cebos vivos», in dreierlei Sorten.
Für jemanden, der mit Angeln nur aus einer einmaligen, als tierliebendes Kind definitiv unfreiwilligen Fliegenfisch-Aktion in Patagonien zu tun hatte, ist das Konzept eines Automaten, der lebendige Würmer verkauft, ein Novum. So beginnt die Recherche in die Welt des Angelsports, nach Ködern und was diese bewirken.
Als Erstes stellt sich heraus, dass sich dieser Automat auf Würmer für die Angelsportsorte «Surfcasting» spezialisiert. Surfcasting ist eine Art Sport- oder Hobbyfischen, die mit einer Angelrute vom Ufer des Strandes oder eines Hafengebiets aus praktiziert wird. Das heisst, dieser Automat richtet sich nicht an die Bedürfnisse von Profifischern, die ihren Lebensinhalt durch den Fang essbarer Meerestiere verdienen. Denn diese nutzen eher grosse Netze, in denen die Fische hängen bleiben, statt einzelne Angelruten. Die Zielgruppe des Automaten sind also Hobbyfischer, die zu Hause keinen Platz für – oder keine Lust auf – Töpfe voller lebendiger Würmer haben oder die kurzfristig Ködernachschub brauchen.
Potenzielle Kunden gibt es in Barcelona reichlich. Denn Surfcasting ist beliebt. Das weiss jeder, der morgens oder bei Dämmerung schon am bekanntesten Strand der Stadt, der Barceloneta, entlangspaziert ist: Die Hobbyfischer sind zahlreich vertreten. La Barceloneta gilt trotz der Menschenmassen an Touristen und Einheimischen, die baden gehen, auch als einer der besten Strände für Surfcasting.
Die drei Ködersorten, die der Automat anbietet, lösen auf Hobbyfischereiforen heftige Debatten aus. «Die Titas taugen nichts,» lamentiert ein Nutzer. «Stimmt nicht, sie sind die zweitbeste Sorte aller Köder,» kontert ein anderer. Dass die Americanos beim Einstich mit der Angelrute stark bluten (und deswegen auch Blutwürmer genannt werden) wird anatomisch besonders detailliert dargestellt.
Allgemein gilt der Konsens, dass die unterschiedlichen Köder verschiedene Fischsorten anziehen. So sollen die Coreanos die besten Allrounder sein, die Americanos sind besonders für Doraden geeignet und Titas sind die Favoriten, um Wolfbarsche anzulocken.
In der Schweiz gibt es meines Wissens noch keine Wurmautomaten. Aber sollte man welche aufstellen, müssten sie anders bestückt sein als das spanische Exemplar. Für Egli, im Sommer zum Beispiel serviert als «Eglifilets aus dem Zürichsee» reicht wohl ein gemeiner Regenwurm. Für den zweiten Regionalstar Zander, sind Gummifische Köderfavorit – die liessen sich auch leichter in einem Automaten lagern. Doch da es in der Schweiz weniger Fischereigründe für Hobbyfischer gibt als in Spanien, ist es wohl wahrscheinlicher, dass die Selecta-Automaten dereinst ins Fischfutter-Territorium expandieren – für Menschen. Migros und Coop haben schliesslich bereits reichlich Insektensnacks im Sortiment.
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