
Die Schweiz und China haben seit vergangenem Jahr eine neue Verbindung: Dank eines Stock Connect können chinesische Unternehmen sich über Hinterlegungsscheine (Global Depositary Receipts, GDR) an der SIX zweitkotieren lassen. Vergangenen Juli kamen die ersten vier Chinatitel an die Zürcher Börse, seitdem sind sechs dazugekommen. Die Gesellschaften haben so über 3 Mrd. Fr. eingesammelt.
Die Schweizer Börse hat es dank dieser Zugänge vergangenes Jahr auf den zweiten Platz der europäischen Rangliste der IPO (Initial Public Offerings, Publikumsöffnungen) geschafft. Und es gibt dem Vernehmen nach schon zwanzig weitere Kandidaten, die sich für diese Option interessieren. So wurde im Januar gemeldet, dass der Schweinezüchter Muyuan Foods plant, GDR in Höhe von 1,5 Mrd. Fr. zu emittieren.
Dieser Erfolg ist überraschend. Denn nur die wenigsten Anleger in der Schweiz werden es vermisst haben, die Anteilsscheine unbekannter Unternehmen aus der Volksrepublik kaufen zu können. Und auch das niedrige Handelsvolumen – das gilt für die in Zürich und London gehandelten GDR – spricht dafür, dass diese Aktien kaum einen Zweitmarkt benötigen.
Der Neid ist geweckt
Doch schon allein die Schlagzeilen über die IPO-Erfolge scheinen Neid zu wecken. Die «Financial Times» zitiert einen Manager eines ungenannten europäischen Wettbewerbers der SIX: «Die Schweiz hat ein hohes Risiko, zu einem chinesischen Markt zu werden.» Die Zürcher Börse geht gemäss Aussage des anonymen Konkurrenten ein grosses Risiko ein, wenn sie sich in ihrem IPO-Volumen von einem Herkunftsland so sehr abhängig macht.
Dahinter steckt auch der Vorwurf, dass man es in der Schweiz mit der Regulierung nicht so ernst meine. So wird an der Londoner Börse der chinesische Rechnungslegungsstandard nicht als ausreichend akzeptiert. In der Schweiz hingegen schon. Und auch die Politik nennen Beobachter als Grund: Die USA seien gegenüber den chinesischen Unternehmen zu feindlich gestimmt, da locke die neutrale Schweiz.
Chancen und Risiken nicht überbewerten
Die SIX also als Paradies für chinesische Unternehmen? Womit sich die Börse anfällig macht für ein Chinarisiko? Beides sind Übertreibungen. Man sollte weder Risiken noch Vorteile überbewerten, die für die SIX aus den Zugängen aus China erwachsen. Denn es gibt einen klaren Grund, warum die GDR nicht für einen Handelsboom gesorgt haben: Die Emissionen erfüllen einen spezifischen Zweck, der wenig mit einem normalen IPO gemein hat.
Chinesische Unternehmen können sich durch die Hinterlegungsscheine im Ausland finanzieren – und so die Kapitalkontrollen der Volksrepublik umgehen. Sonst ist es kompliziert und aufwendig, etwa Investitionen und Zahlungen im Ausland aus China heraus abzuwickeln. Oft ist die SIX-Kotierung also ein Arbitragegeschäft.
Die Zielgruppe sind Investoren, die die Unternehmen schon kennen oder Anteile haben – und über die GDR diese Aktien günstiger erwerben können. Die Summen von durchschnittlich einigen hundert Millionen Franken sind auch zu klein, um ein echtes Interesse bei einer neuen Anlegerschicht zu wecken. Wer aus China tatsächlich eine internationale Investorengemeinde ansprechen will – und sich nicht auf das New Yorker Parkett wagt –, ist in Hongkong nach wie vor besser aufgehoben als in Zürich.
Die SIX ist damit nur ein Finanzierungskanal. Sicherlich wäre es nicht gut für die Reputation, wenn sich unter den Neuzugängen ein schlechter Apfel befände. Aber da es unter den heimischen Anlegern so gut wie keine Nachfrage nach diesen Titeln gibt, bleibt das Risiko begrenzt.
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Meinung – Zürcher Börse ist kein Chinaparadies
Manche jubeln, dass die SIX für chinesische Unternehmen nun besonders attraktiv ist. Aber man darf sich nicht zu viel erhoffen.